Verlassene geheime Atombasen in den Wäldern Litauens
Verlassene geheime Atombasen in den Wäldern Litauens
Inmitten eines Meeres aus Birken und Ostseepinien, das sanft im Wind wiegt, führt die Straße tiefer in den Wald. Hier, in den friedlichen Tiefen des Žemaitija Nationalparks im Westen Litauens, zur idyllischen Kulisse von Seen, Feuchtgebieten, alten Dörfern und Wäldern, warteten einst sowjetische Raketenbetreiber heimlich auf den Befehl zur Zerstörung Westeuropas.
Die Plokštinė Raketenbasis
Heute ist das ehemals geheime Areal, bekannt als Plokštinė Raketenbasis, die meistbesuchte Attraktion des Parks und beherbergt das Kaltes Kriegs Museum. Im Jahr 2024 kamen 35.000 Menschen aus der ganzen Welt, um diese unheimliche, unterirdische Welt zu erkunden, die unterirdische Räume, Gänge und einen Raketen-Silo 30 Meter unter der Erde umfasst.
Die Geschichte der Basis
Der Eingang zur Anlage wird von mehreren Dornenzaunlinien gesäumt. Nach einem kurzen Marsch kommen vier weiße Kuppeln in Sicht, die im Kontrast zum Grün des Waldes stehen — die Bunker, die einst Massenvernichtungswaffen beherbergten. Diese Strukturen wirken wie parasitäre Pilze, die nicht in ihre Umgebung gehören.
Die Geschichte der Basis spiegelt die Logik des Kalten Krieges und das nukleare Wettrüsten wider. Westlitauen — damals Teil der Litauischen Sowjetischen Sozialistischen Republik — war ein idealer Standort zur Lagerung von Sprengköpfen, die auf NATO-Länder abzielten. Litauen wurde entlang der Ostsee zu einer stark militarisierten Zone mit Raketenbasen, Militärstädtchen und Garnisonen, ebenso wie die Nachbarstaaten Lettland und Estland.
Geheimhaltung und Sicherheit
Die Raketenbasis Plokštinė wurde 1962 nach zwei Jahren Bauzeit fertiggestellt, wobei mehr als 10.000 Arbeiter aus der gesamten Sowjetunion beteiligt waren. Diese immense Bautätigkeit blieb der lokalen Bevölkerung nicht verborgen. „Die Leute wussten nicht, welche Waffen dort gelagert wurden, aber wir kannten diesen Ort,“ erzählt Aušra Brazdeikytė, eine Führerin im Kalten Kriegs Museum.
Brazdeikytė wurde in einem Dorf unweit der Basis geboren und verbrachte ihr ganzes Leben in der Region. Soldaten wurden Teil des lokalen Lebens, und es war üblich, Lärm von schwerem Gerät zu hören, das militärische Ausrüstung transportierte.
„Wir arbeiteten zusammen mit Soldaten aus verschiedenen Sowjetrepubliken auf Kolchosen, aber wir sprachen nie über militärische Themen,“ erinnert sie sich. Falsche Fragen konnten im sowjetischen System tragisch enden. Der Zugang zu dem Komplex war stark gesichert, mit einem elektrischen Zaun, der sich über zwei Meilen um die Basis erstreckte, und der dichte Wald erschwerte die Erreichbarkeit weiter.
Ein eindrucksvolles Erlebnis
Das gesamte Geheimhalten zahlte sich aus. US-Geheimdienste entdeckten die Basis erst 1978 durch Satellitenaufklärung. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sowjets die Anlage im Rahmen der Raketenabrüstungsgespräche zwischen der UdSSR und den USA stillgelegt.
Der Eingang zur Anlage erfolgt — wie eh und je — durch ein Loch im Boden. „Bitte wischen Sie Ihre Füße ab,“ steht über der hermetisch abgeschlossenen Tür auf einem Schild in Russisch. Sauberkeit ist wichtig am Arbeitsplatz, besonders wenn man in einer geheimen unterirdischen Anlage mitAtomwaffen arbeitet.
Die Plokštinė Raketenbasis war ein elaboriertes Militärprojekt, eine vorbildliche Einrichtung ihrer Art in der Sowjetunion. Im Zentrum steht ein unterirdisches Kommandozentrum mit einem Netzwerk von Gängen sowie vier 30 Meter tiefen Schächten für die R-12 Dvina Boden-Boden-Raketen. Es gab sogar ein unterirdisches Kraftwerk, um im Notfall Energie zu erzeugen.
Ein Ort der Erinnerungen
Nach der Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion im Jahr 1990 und dem darauffolgenden Fall des Eisernen Vorhangs wurde die Basis vollständig verlassen und für ihr Metall geplündert. Dank EU-Förderung konnten die örtlichen Behörden ein ausgezeichnetes Museum schaffen, das 2012 eröffnet wurde und dem Öffentlichkeit Zugang zum Kommandozentrum, dem elektrischen Kraftwerk und einem Silos bietet.
Ein Rundgang durch das düstere unterirdische Labyrinth vermittelt ein unheimliches Gefühl – nicht zuletzt, weil es mit sowjetischem Fluggerät gefüllt ist: Statuen von Lenin und Stalin, militärische Auszeichnungen und Keramiken sowie Fahnen mit Hammer und Sichel. Besucher durchqueren thematisch gestaltete interaktive Hallen, die den verschiedenen Phasen des Kalten Krieges gewidmet sind, und erfahren mehr über die in der zweiten Hälfte des turbulenten 20. Jahrhunderts produzierte Propaganda.
Die Geisterstadt nebenan
Nur wenige Schritte von den vier Silos entfernt befindet sich die Geisterstadt, die keinen Namen trägt. Ursprünglich beherbergte sie rund 300 Soldaten und Offiziere, die an der Raketenbasis arbeiteten. Nach der Stilllegung der Plokštinė Basis wurden einige Verwaltungsgebäude in der Stadt bizarreweise in ein Sommercamp für Kinder umgewandelt, das von 1979 bis 1990 unter dem Namen Žuvėdra (Seemöwe) betrieben wurde. Eine Bushaltestelle direkt hinter dem Eingangstor ist mit einem farbenfrohen Wandgemälde eines Wichtels auf einem Pilz, der eine Blume hält, bemalt.
Eine Region voller Kontraste
Heute ist von der Militärstadt nicht mehr viel übrig. Der eindrucksvollste Anblick sind eine Reihe ehemaliger Lagerhangars. Überzogen mit Schlamm und Gras wirken sie wie uralte Pyramiden, die im Wald verloren gegangen sind. Die Kombination aus der düsteren, verlassenen Raketenbasis und der wunderschönen Natur drumherum könnte eine Allegorie für das moderne Litauen darstellen.
Das Land hat erfolgreich die jahrzehntelange sowjetische Besatzung überwunden und seine Narben aus dem Kalten Krieg in lehrreiche Momente verwandelt. Abseits der Basis ist der Žemaitija Nationalpark einer der schönsten Orte Litauens, voller Attraktionen. Ein Besuch des Parks führt Sie ins Herz von Samogitia – einer Region mit reicher lokaler Kultur. Hier koexistieren heidnische und christliche Traditionen; es wird angenommen, dass dieses Land der letzte Teil Europas war, der im 15. Jahrhundert zum Christentum konvertiert wurde.
Žemaičių blynai, oder Samogitische Pfannkuchen, sind die Superstar-Gerichte der Region — herzhafte Kartoffelpuffer mit Fleischfüllung. Cepelinai, gefüllte Kartoffelklöße mit Quark oder Hackfleisch, sind ein weiteres litauisches Soulfood. Und niemand verlässt die Region, ohne šaltibarščiai, eine kalte, rosa Rote-Bete-Suppe, probiert zu haben.
Die Stadt Plateliai, 15 Minuten nördlich des nuklearen Standorts gelegen, beherbergt die Kirche der Apostel Peter und Paul, ein beeindruckendes Holzgebäude aus dem 18. Jahrhundert. Ein restauriertes Herrenhaus in der Stadt ist jetzt das Zuhause eines Mardi Gras Museums mit charakteristischen Holzmasken.
Der Plateliai-See selbst ist ein Paradies für Naturliebhaber, mit Rad- und Wanderwegen, Campingplätzen am Wasser und malerischen Restaurants entlang des Ufers. Einst war die größte Geheimnis von Žemaitija die Plokštinė Nuklearraketenbasis. Heute ist die Region ein verstecktes Juwel für langsame Reisen in Europa.
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