Kyjiw bietet ukrainische Kollaborateure gegen festgehaltene Zivilisten an

Die Ukraine hat im vergangenen Monat zahlreiche eigene Staatsbürger nach Russland geschickt, indem sie diese aus Gefängnissen entlassen hat, um die Freilassung von ukrainischen Zivilisten zu sichern, die illegal in russischen Gefängnissen festgehalten werden. Menschenrechtsaktivisten bezeichnen diesen Schritt als verzweifelt und besorgniserregend.
Das Programm für die Rückkehr
Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden im Rahmen des 1.000 für 1.000 Gefangenenaustausches zwischen Kiew und Moskau 70 ukrainische Zivilisten, die wegen angeblicher Kollaboration mit Russland verurteilt wurden, entlassen. Die Ukraine betont, dass alle freiwillig ins Exil gegangen seien, im Rahmen eines Regierungsprogramms, das es verurteilten Personen ermöglicht, nach Russland zu gehen.
Zwiespältige Reaktionen
Menschenrechtsgruppen und internationale Juristen kritisieren jedoch das Programm, da es den vorherigen Erklärungen der ukrainischen Regierung widerspricht und potenziell mehr Menschen in Gefahr bringt, von den Russen entführt zu werden. Onysiia Syniuk, eine Rechtsanalystin der ukrainischen Menschenrechtsgruppe Zmina, äußerte dazu: „Ich verstehe das Gefühl völlig. Wir alle wollen, dass die in Russland festgehaltenen Personen so schnell wie möglich freigelassen werden, aber die angebotene Lösung ist definitiv nicht die richtige.”
Hintergrund zur Gefangennahme ukrainischer Zivilisten
Laut Kiew sind mindestens 16.000 ukrainische Zivilisten in Russland inhaftiert, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher liegt. Rund 37.000 Ukrainer, darunter Zivilisten, Kinder und Soldaten, werden offiziell als vermisst geführt. Viele von ihnen wurden in besetzten Gebieten festgenommen und monatelang oder sogar jahrelang ohne Anklage und Prozess festgehalten, bevor sie nach Russland deportiert wurden.
Rechtslage und internationale Reaktionen
Die Festnahme von Zivilisten durch eine besetzende Macht ist nach internationalem Konfliktrecht illegal, es sei denn, es liegt eine eng definierte Ausnahme vor. Mangels eines etablierten rechtlichen Rahmens für die Behandlung und den Austausch von zivilen Inhaftierten ist die Situation äußerst komplex.
Russland behauptet in einigen Fällen, dass die ukrainischen Zivilisten, die es festhält, Kriegsgefangene seien und als solche anerkannt werden sollten. Kiew zögert jedoch, diese Anerkennung auszusprechen, da dies Zivilisten in den besetzten Gebieten in Gefahr bringen könnte, willkürlich von Russland festgenommen zu werden.
Der Druck auf Russland wächst
Der ukrainische Menschenrechtskommissar Dmytro Lubinets sagte, dass Kiew glaubt, Russland halte Ukrainer als Geiseln, um sie als Druckmittel zu verwenden. Die ukrainische Regierung hat ihre Verbündeten mobilisiert, um den Druck auf Russland zu erhöhen und versucht, die Freilassung der inhaftierten Zivilisten über Drittstaaten zu erreichen.
Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben wiederholt die bedingungslose Freilassung aller zivilen Inhaftierten gefordert, doch Russland ignoriert diese Aufrufe.
Probleme des Austausches
Das Programm „Ich möchte zu meinen eigenen gehen“ zielt darauf ab, einige der inhaftierten Zivilisten zurückzuholen, ohne sie als Kriegsgefangene anerkennen zu müssen. Menschenrechtsgruppen fordern die ukrainische Regierung jedoch nachdrücklich auf, weiterhin auf die bedingungslose Freilassung von Zivilisten zu drängen. „Es ist nach internationalem humanitären Recht nicht möglich, von einem Austausch zivilistischer Inhaftierter zu sprechen. Alle rechtswidrig festgehaltenen Zivilisten müssen bedingungslos freigelassen werden“, erklärte Yulia Gorbunova, eine erfahrene Forscherin bei Human Rights Watch.
Kritik an der rechtlichen Grundlage
In der Ankündigung des 1.000 für 1.000 Austausches deutete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an, dass auch russische Saboteure und Kollaborateure in den Austausch einbezogen würden. Doch die Ergebnisse des Austausches scheinen nicht den Erwartungen der ukrainischen Regierung entsprochen zu haben. Laut Petro Yatsenko vom Koordinationshauptquartier für die Behandlung von Kriegsgefangenen wusste Kiew im Voraus nicht, wer zurückgebracht wurde.
Die Rückkehrer umfassten auch Zivilisten, die wegen krimineller Vergehen verurteilt wurden, die nichts mit dem Krieg zu tun hatten. Andriy Yusov, der stellvertretende Leiter des Hauptquartiers, erklärte, dass viele von ihnen vor der russischen Invasion im Februar 2022 von ukrainischen Gerichten verurteilt worden seien. Russische Behörden hätten sie danach illegal in Abschiebezentren festgehalten und nur im Rahmen des Gefangenenaustausches freigelassen.
Fazit und Ausblick
Obwohl das Programm bei Bedarf eine Möglichkeit für die Rückkehr ukrainischer Staatsbürger bietet, bleibt die rechtliche und ethische Basis fragwürdig. Menschenrechtsanwälte äußern Bedenken, dass die ukrainische Gesetzgebung zur Kollaboration, unter der viele verurteilt wurden, nicht transparent genug ist und auch Personen umfasst, die schlichtweg ihrer Arbeit in besetzten Gebieten nachgegangen sind. Der Fall verdeutlicht die komplexen moralischen und rechtlichen Herausforderungen im Umgang mit festgehaltenen Zivilisten in Konfliktsituationen.
Dieser Bericht wurde von CNNs Victoria Butenko und Svitlana Vlasova unterstützt.