Fokus auf Opfer: Experten warnen vor der Gefährlichkeit von Amokläufen

Fokus auf Opfer: Experten warnen vor der Gefährlichkeit von Amokläufen
Graz, Österreich - Amokläufe sind ein erschütterndes Phänomen, das von der Gesellschaft aufmerksam betrachtet werden muss. Aktuell äußert Notfallpsychologin Barbara Juen ihre Bedenken hinsichtlich der Berichterstattung über Täter. Sie warnt davor, diesen eine Bühne zu geben und fordert dazu auf, den Fokus auf die Gemeinschaft und die Opfer zu richten. Juen, die außerordentliche Professorin an der Universität Innsbruck und fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste des Österreichischen Roten Kreuzes ist, betont, dass Schuldzuweisungen an die Familien der Täter oder bestimmte Gruppen lediglich Wut und Rachegefühle schüren können. Laut ihr könnte das auch Nachahmer produzieren, wenn Amokläufer als „heldenhaft“ inszeniert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Unbeteiligte psychische Störungen entwickeln, ist gering, und die meisten Menschen werden sich von einem solchen Trauma erholen, wenn sie die nötige Unterstützung erhalten.
Dennoch kritisiert Juen die unzureichenden Ressourcen für psychologische Hilfe in Österreich und hebt hervor, dass es in der Vergangenheit Verbesserungen gegeben hat, wie beispielsweise die Initiative „Gesund aus der Krise“. Sie empfiehlt, auf Veränderungen im Verhalten von Kindern zu achten, etwa wenn sie die Schule verweigern oder Freundschaften verlieren, und rechtzeitig Unterstützung zu suchen.
Hintergrundforschung zu Amoktätern
Forschungen zu Amoktätern, wie sie von Professor Britta Bannenberg durchgeführt wurden, zeigen, dass viele dieser Täter aus unauffälligen Mittelschichtfamilien stammen und keine typischen Mobbing-Opfer sind. In ihrer Untersuchung, die Teil des Verbundprojekts TARGET ist und 19 Amoktaten von 20 Tätern zwischen 1992 und 2013 analysiert, fand sie heraus, dass die Täter oft schwer zugänglich, zurückgezogen und computerobsessiv sind. Sie bewegten sich in einem sozialen Umfeld, in dem sie keine vertrauensvollen Beziehungen aufbauen konnten. Zudem gab es in den meisten Fällen keine gewalttätigen oder sozial verwahrlosten Verhältnisse in ihren Familien.
Ein weiteres auffälliges Merkmal war das Muster psychischer Störungen. Die Täter hatten oft narzisstisch-paranoide Persönlichkeitszüge; sie zeigten Selbstbezogenheit und Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Es wird deutlich, dass sie häufig in ihrer ohnehin schon angespannten Lebenssituation Rachegedanken entwickeln und dabei in der Gesellschaft eine schuldhafte Verantwortung für ihr Leid projizieren. Die Berichte über den Amoklauf an der Columbine High School dienten als Vorbilder für einige dieser Täter.
Prävention in Schulen
In Deutschland sind Amokläufe an Schulen relativ selten, doch es gab seit 2000 dennoch 15 solcher Taten. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul betont die Vorbereitungen der Polizei auf solche Situationen, erklärt aber auch, dass Täter oft bereits vor dem Eintreffen der Beamten erheblichen Schaden anrichten können. Die Schulen selbst stehen vor der Herausforderung, nicht zu Festungen zu werden, und müssen die Ursachen solcher Taten erforschen.
Für Lehrkräfte und Schulleitungen in NRW gibt es den Notfallordner „Hinsehen und Handeln“, der Handlungsanweisungen für den Ernstfall bereitstellt. Karoline Roshdi, eine Kriminalpsychologin, empfiehlt, dass jede Schule ein Krisenteam haben sollte. Diese Teams, von denen jedoch viele nur auf dem Papier existieren, könnten dazu beitragen, potenzielle Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen. Ein Leitfaden zum Umgang mit Gewaltvorfällen wurde jüngst an alle Schulen geschickt.
Erfahrungen aus vergangenen Amokläufen zeigen, dass Warnhinweise oft bereits vorhanden waren. Ein funktionierendes Krisenteam könnte helfen, diese Hinweise ernst zu nehmen und gegebenenfalls weitere Analysen anzustoßen, um das Risiko von Amokläufen zu mindern.
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Ort | Graz, Österreich |
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