Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist ein düsteres Kapitel in der Geschichte Österreichs, markiert durch die von den Nazis als „Reichskristallnacht“ bezeichnete Gewalt. In jener tragischen Nacht und in den darauf folgenden Tagen wurden jüdische Einrichtungen und Wohnstätten in ganz Deutschland und Österreich brutal verwüstet. Geschäftsräume wurden geplündert, Synagogen in Brand gesetzt, und viele Jüdinnen und Juden wurden verhaftet oder sogar ermordet. Dieses traurige Erbe hat auch die Stadt Steyr geprägt und wird durch die Lebensgeschichten einzelner Familien lebendig gehalten.
Ein zentrales Beispiel ist die Geschichte von Ludwig und Netty Schirok, deren Schicksal die Historikerin Waltraud Neuhauser-Pfeiffer dokumentiert hat. Ludwig Schirok, geboren 1881 in Polen, war in Steyr als „Borstenzurichter“ tätig und führte gemeinsam mit seiner zweiten Frau, Netty Zindorf, einen Branntwein- und Gemischtwarenhandel.Ihr Geschäft war in der Fabrikstraße 14 angesiedelt.
Verfolgung und Tragödie
Die Ehe von Ludwig und Netty war von tiefer Traurigkeit geprägt. Netty, die mit der schrecklichen Realität der Verfolgung nicht umgehen konnte, beging am 10. April 1938 Suizid, nur einen Monat nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Zu dieser Zeit war eine Welle des Schreckens über die jüdische Gemeinschaft hereingebrochen, und viele wählten diesen grausamen Ausweg aus ihrer Verzweiflung.
Nach dem Verlust seiner Frau erlebte Ludwig Schirok, was es bedeutete, als Jude in Österreich zu leben. Er sah sich gezwungen, sein Haus zu verkaufen, das er mit Netty erworben hatte. Die nationalsozialistische Regierung profitierte von dieser Beschlagnahme, da sie die verschwundenen Vermögenswerte der jüdischen Bevölkerung konfiszierten und verwerteten.
Ende 1938 wurde Ludwig gezwungen, nach Wien zu ziehen, wo er unter ständiger Bedrohung und Unsicherheit lebte. Während dieser Zeit wechselte er mehrmals seine Wohnadresse, um der Verfolgung zu entkommen. Sein Schicksal wurde noch tragischer, als er eine neue Ehe mit Gisela Vogelhut einging. Bevor das Paar deportiert wurde, mussten sie eine verheerende „Sondervollmacht“ unterzeichnen, die ihre letzten Vermögenswerte der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ übertrug.
Deportation und Erinnerung
Die Deportation war unvermeidlich, und am 3. Dezember 1941 wurden Ludwig und Gisela Schirok nach Riga in Polen gebracht, wo sie schließlich ermordet wurden. Ihre Geschichte spiegelt die grausame Realität wider, der viele jüdische Familien in dieser Zeit ausgesetzt waren.
Um das Gedächtnis an Ludwig und Netty Schirok zu bewahren, wurden im Juni 2024 zwei „Stolpersteine“ vor ihrem ehemaligen Wohnhaus an der Fabrikstraße 14 gelegt. Diese Gedenksteine sollen Besucher an die vergessenen Schicksale erinnern und die Warnung vor den Gefahren des Hasses und der Intoleranz wachhalten.
In Anbetracht dieser Erinnerungen wird die Bedeutung der „Reichskristallnacht“ für die heutige Gesellschaft besonders deutlich. Es ist eine ständige Mahnung, die Vergangenheit nicht zu vergessen und für eine zukunftsorientierte, tolerante Gesellschaft einzutreten. Mehr zum Thema und zu der Geschichte der Familie Schirok findet sich in einem Artikel auf www.meinbezirk.at.