In Müllheim, einer Stadt im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald, hat die jahrelange Forschung eines Ehepaars zur jüdischen Geschichte vor Ort eine Welle der Aufarbeitung ausgelöst. Inga und Rolf Schuhbauer haben über Jahrzehnte das Schicksal jüdischer Mitbürger während der NS-Zeit erforscht, mehrere Geschichten aufgedeckt und Akten in Archiven studiert. Ihre Arbeit stieß häufig auf Widerstand in der Gemeinde, doch die Schuhbauers blieben standhaft. Sie haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Vergangenheitsbewältigung in ihrer Stadt zu fördern.
Nun plant die Stadt Müllheim, ihre Schattenseiten der NS-Geschichte systematisch aufzuarbeiten. Eine externe Agentur wurde beauftragt, die dunkle Vergangenheit zu erforschen. Der Historiker wird Archivmaterial sichten, das vom Stadtarchiv Müllheim bis zum Staatsarchiv Freiburg reicht. Zudem sind Gespräche mit Zeitzeugen vorgesehen, um ein möglichst vollständiges Bild der Geschehnisse zu erhalten.
Die Rolle der Täter in der NS-Vergangenheit
Die Schuhbauers haben nicht nur die Geschichten der Verfolgten dokumentiert. Rolf Schuhbauer merkt an, dass sie auch viele Namen von Tätern aus der NS-Zeit kennen, die sowohl an Überfällen auf jüdische Bürger als auch an Pogromen beteiligt waren. Entgegen dem Widerstand der Nachfahren haben sie es vorgezogen, diese Täter anonym zu lassen, um sich ausschließlich auf die Schicksale der Opfer zu konzentrieren. „Wir konnten es in diesem Müllheim aber nicht wagen, die Namen öffentlich auszusprechen“, so Schuhbauer.
Die letzten jüdischen Bewohner Müllheims, wie eine Frau, die bis 1939 dort lebte, erlebten die brutalen Übergriffe der Nationalsozialisten firsthand. Diese Frau wurde von Nazis, die in ihr Haus einbrachen, in ein Lager ins Elsass verschleppt. Auch wenn sie es schaffte, zu entkommen, kehrte sie nie mehr in ihre Heimat zurück.
Inga und Rolf Schuhbauer wünschten sich, dass die Namen der Täter veröffentlicht werden, um ein realistisches Bild der lokalen Unterstützung für das NS-Regime zu zeigen. „Die Nazis waren hier sehr, sehr aktiv“, reflektiert Rolf Schuhbauer. „Sonst kann man es sein lassen, dann braucht man die Aufarbeitung nicht.“
Ein gemeinschaftlicher Aufarbeitungsprozess
Das Engagement der Schuhbauers inspirierte die Stadt zu diesen Schritten. Andreas Weiß, der Projektkoordinator und Leiter des Markgräfler Museums, hofft, aus der Recherche Lehren für die Zukunft ziehen zu können. Er will herausfinden, wie die Machtergreifung vor Ort tatsächlich vonstatten ging und welche Mechanismen dabei zur Anwendung kamen.
Die geplante umfassende Aufarbeitung soll in einer Ausstellung im Markgräfler Museum im Jahr 2026 münden, sowie in einem Buch, das die Ergebnisse dokumentiert. Diese Aktivitäten sollen dazu beitragen, eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu fördern und ein Bewusstsein für die Gefahren des Extremismus zu schaffen.
Trotz der Bereitschaft zur Aufarbeitung gibt es immer noch Widerstände. Als Schüler in Müllheim Schilder an den ehemaligen Wohnorten jüdischer Bürger aufstellten, um an deren Deportation zu erinnern, wurden die Schuhbauers selbst mit Drohungen konfrontiert. Inga Schuhbauer berichtet, dass nach einem solchen Ereignis ein Schild vor ihrem eigenen Haus aufgestellt wurde. Dies war ein Versuch, sie zum Schweigen zu bringen und die Erinnerung an die jüdische Gemeinschaft in Müllheim zu unterdrücken.
Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Müllheim steht also erst am Anfang. Und während das Ehepaar Schuhbauer hofft, dass sich die Stadt und ihre Bevölkerung ernsthaft mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen, bleibt abzuwarten, welche Wahrheiten ans Licht kommen werden. Ob Müllheim einst eine „Nazi-Hochburg“ war, sollen die Ergebnisse dieser umfassenden Untersuchung belegen. In jedem Fall wird der Prozess des Erinnerns und Aufarbeitens dringend notwendig sein, um den Schatten der Geschichte nicht weiterhin zu ignorieren.
Die Schicksale der jüdischen Bürger Müllheims, die durch das unermüdliche Engagement der Schuhbauers ans Licht kamen, verdienen es, in den Annalen der Stadt festgehalten zu werden. Wer die Vergangenheit nicht versteht, kann auch keine Lehren für die Zukunft ziehen, so die Hoffnung der Schuhbauers. Sie haben bewiesen, dass jede Geschichte zählt und es niemals zu spät ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, wie www.swr.de berichtet.