Der jüngste Bericht des Living Planet Index (LPI) zeigt alarmierende Rückgänge der Wirbeltierpopulationen weltweit. In einem Zeitraum von fünf Jahrzehnten ist der Bestand in den Ozeanen um 56 Prozent gesunken, in Süßwassergebieten sogar um 85 Prozent und an Land um 69 Prozent. Diese Zahlen alarmieren Naturschützer und Wissenschaftler gleichermaßen und verdeutlichen die bedrohliche Lage der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten. Freya Duncker vom WWF bezeichnet die Ergebnisse als katastrophal und spricht von einem rapiden Fortschreiten des Artensterbens. Der Bericht unterstreicht die Dringlichkeit, diesen trendierenden Verlust zu stoppen.
Der Living Planet Index wird gemeinsam vom WWF und der Zoological Society of London (ZSL) erstellt und zielt darauf ab, die Veränderungen in den Populationen von Wirbeltieren wie Elefanten, Walen und Aalen nachzuvollziehen. Mit Hilfe umfassender Daten, die über Jahrzehnte gesammelt wurden, wurden insgesamt 5268 Wirbeltierarten analysiert, um Muster in der Artenvielfalt zu identifizieren.
Die Methodik und ihre Herausforderungen
Die Erfassung der Daten zur Bestandsentwicklung ist keine triviale Aufgabe, da Wildtiere nicht systematisch gezählt werden. Stattdessen verlässt sich der LPI auf die Auswertung wissenschaftlicher Literatur. Louise McRae von der ZSL erläutert, dass die Daten spezifischen Kriterien genügen müssen, um als verlässlich zu gelten. Dazu zählen unter anderem die Bezugnahme auf eine Art und eine Beobachtungsdauer von mindestens zwei Jahren.
Die Interpretation der gesammelten Daten stellt jedoch eine Herausforderung dar. Der Index spiegelt nicht die absolute Anzahl der Tiere wider, sondern zeigt den prozentualen Rückgang der beobachteten Populationen an. So kann es vorkommen, dass trotz einem signifikanten Rückgang in einer kleinen Population die Gesamtzahl der Tiere stabil bleibt, was die Ergebnisse verwirren kann. Ein Beispiel zeigt dies deutlich: Bei einer Population von 100 Hirschen kann es sein, dass eine Gruppe stabil bleibt, während die andere dramatisch sinkt. Trotz derselben Gesamtzahl können die Durchschnittswerte verzerrt werden.
Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal ist, dass der globale Rückgang des LPI innerhalb der letzten Jahre stagnierte. Einige Berichte deuten darauf hin, dass die Zahl der marinen Arten aufgrund besserer Fangquoten und Schutzmaßnahmen sogar zugenommen hat. Doch dies wirft die Frage auf, ob die Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigen oder ob sie lediglich das Bild verzerren.
Kritik an den Daten und deren Interpretationen
Die Validität des LPI wird von einigen Wissenschaftlern in Frage gestellt. Anna Tószögyová, Biologin an der Karls-Universität Prag, führte an, dass die Daten vor allem aus älteren Studien möglicherweise unzuverlässig sein könnten. Sie verweist auf ein Beispiel aus Afrika, wo politische Motivationen die Zählung von Elefanten beeinflusst haben könnten. Eine weitere Herausforderung sind die „Nullen“ in den Daten – Punkte, an denen keine Angaben zur Population gemacht wurden. Diese Nullen können verschiedene Bedeutungen haben, von tatsächlichem Verschwinden bis zu zufälligen Zählfehlern.
Tószögyová und ihre Kollegen haben versucht, diese Nullen aus der Datenanalyse herauszunehmen und kamen zu dem Ergebnis, dass der weltweite Rückgang der Artenvielfalt signifikant geringer ausfiel, als ursprünglich angegeben. Ihre Erkenntnisse könnten die Methodik des LPI in Frage stellen, da sie deutlich machen, dass die Ursachen für den Rückgang vielschichtiger sind.
Die ZSL stellt jedoch fest, dass sie gewissenhaft darauf achten, keine einflussreiche Population in den Index aufzunehmen, die das Gesamtbild verzerren könnte. Robin Freeman von der ZSL erklärt, dass Nachfragen zu diesem Thema regelmäßig behandelt werden und dass man die Daten auf verschiedene Arten bewertet, um eine möglichst präzise Einschätzung zu gewährleisten.
Die wissenschaftliche Diskussion über die Bedeutung der gesammelten Daten hat nicht nur wissenschaftliche, sondern auch politische Dimensionen. Der WWF setzt den LPI ein, um politischen Druck auszuüben und auf die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität hinzuweisen. Kirstin Schuijt, die Generaldirektorin des WWF, betont, dass die kommenden fünf Jahre entscheidend sein werden für den Erhalt der Artenvielfalt, insbesondere da globaler Konsens darüber herrscht, dass 30 Prozent der Erdoberfläche bis 2030 geschützt werden sollen.
Die Diskussion zeigt, wie stark der Status der biologischen Vielfalt und ihre Erhaltung in globalen politischen Agenden verankert sind. Der LPI spielt dabei eine zentrale Rolle als Indikator, um zu verstehen, wo Maßnahmen notwendig sind, um den Rückgang von Arten zu stoppen und bestehende Lebensräume zu schützen. In diesem Kontext ist jede Null in den Daten von Bedeutung und kann weitreichende Konsequenzen für den Naturschutz und die politischen Diskussionen haben.
Die Komplexität dieser gesamten Diskussion lässt sich nur schwer eingrenzen, während die Dringlichkeit, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, weiterhin besteht. Die Analyse des LPI und seine kritische Betrachtung erfordern einen fortlaufenden Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Naturschutzorganisationen, um die Herausforderungen des Artensterbens zu bewältigen.