In einer beschaulichen Einschulungsfeier in der hessischen Stadtallendorf wird plötzlich Geschichte geschrieben: Ein Imam besucht die Grundschule und rezitiert Koran-Verse. Vor den gespannten Schulanfängern trägt er die erste Sure des Korans, die „Al-Fatiha“, vor. Dieses Ereignis wirft nicht nur viele Fragen auf, sondern gibt auch Einblick in die aktuellen Spannungen um den islamischen Religionsunterricht in Hessen. Diese Entwicklungen gehen weit über die Mauern der kleinen Schule hinaus und berühren tiefgreifende rechtliche sowie gesellschaftspolitische Themen.
Zum Hintergrund: Der besagte Imam gehört zur lokalen DITIB-Moschee. Die DITIB, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, steht in einer engen Verbindung zur türkischen Religionsbehörde und somit auch zur Regierung von Präsident Erdogan. Diese Association sorgt bereits seit Jahren für erhebliche Diskussionen im Kontext des Religionsunterrichts in Hessen.
Ein kleines Ereignis – eine große Debatte
„Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten, dem Gnädigen, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tag des Gerichts. Dir allein dienen wir, und Dich allein bitten wir um Hilfe. Führe uns auf den geraden Weg.“ So lautet die Übersetzung der ersten Sure des Korans. Die Schüler lauschten andächtig den Worten des Imams. Was auf den ersten Blick wie eine unscheinbare Zeremonie anmutet, zieht weite Kreise.
Im Anschluss an diese Zeremonie folgte für die muslimischen Schüler noch eine Feier in der örtlichen DITIB-Moschee. Diese Festlichkeit wurde unter anderem durch Instagram-Beiträge der Gemeinde bekannt. Die Nordschule selbst äußerte sich auf Anfrage von Apollo News nicht zu den Ereignissen.
DITIB und die juristische Auseinandersetzung um Religionsunterricht
Das Thema des islamischen Religionsunterrichts ist in Hessen seit Jahren ein heißes Eisen. Die DITIB setzt sich vehement dafür ein, dass der Religionsunterricht an Schulen nach ihren Vorgaben gestaltet wird. Dabei verfolgt sie das Ziel, einen bekenntnisorientierten Unterricht zu etablieren und den staatlich organisierten, wissensorientierten Islamunterricht zu verdrängen.
Ein Blick in die Historie offenbart die Komplexität des Konflikts: Bereits 2013 hatte Hessen die Zusammenarbeit mit der DITIB aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken beendet. Diese Entscheidung beruhte auf der starken Verflechtung der DITIB mit der türkischen Regierung. Um dennoch einen neutralen, politisch unbelasteten islamischen Religionsunterricht anbieten zu können, führte die hessische Landesregierung 2019 einen eigenen, säkularisierten Unterricht ein.
Allerdings stieß diese Maßnahme auf erheblichen Widerstand seitens der DITIB, die gerichtlich gegen den Ausschluss vorging. Das hessische Verwaltungsgericht urteilte 2022, dass das Land Hessen nicht berechtigt sei, den DITIB-Unterricht komplett einzustellen. Es bedürfe erst eines klaren Nachweises einer politischen Instrumentalisierung der DITIB durch die Türkei. Bis dahin müsse die Kooperation aufrechterhalten bleiben.
Die DITIB, mit ihren engen Verbindungen zur türkischen Politik, bleibt ein umstrittener Player im hessischen Bildungswesen. Derzeit nehmen etwa 2.200 Schüler an den staatlich organisierten Islamunterrichtsstunden teil, verteilt auf 20 Grundschulen und fünf weiterführende Schulen. Im Vergleich dazu belegen rund 1.700 Schüler den bekenntnisorientierten Unterricht, den DITIB in Kooperation mit dem Land anbietet.
Die Zukunft des islamischen Religionsunterrichts in Hessen bleibt ungewiss. Doch eines ist sicher: Die kleine Einschulungsfeier in Stadtallendorf war weit mehr als nur ein lokales Ereignis. Sie ist ein Beispiel dafür, wie tief religiöse und politische Spannungen im deutschen Bildungssystem verwurzelt sind und wie ein einziger Moment diese Spannungen offenlegen kann.
– NAG