Der Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands (SWV) Wien, Marko Fischer, und Tourismusexperte Bernd Hinteregger schlagen Alarm angesichts des besorgniserregenden Rückgangs der Lehrlingszahlen in Österreich. In einer Pressekonferenz wurde deutlich, dass die Zahl der Lehrlinge weiterhin drastisch sinkt, insbesondere im Tourismusbereich, der den stärksten Rückgang seit 15 Jahren verzeichnet.
Die Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen, dass die Lehrlingszahl von 27.280 auf 27.083 gesunken ist, während die Anzahl der Lehrbetriebe ein Langzeittief erreicht hat. Fischer warnte vor einem „bedrohlichen Fachkräftemangel“, der die Wirtschaft ernsthaft gefährdet. Hinteregger betonte die kritische Situation im Tourismussektor, wo die Zahl der Lehrlinge von knapp 15.000 im Jahr 2008 auf nunmehr nur noch knapp 7.500 gesunken ist. Es wird angestrebt, langfristig die Zahl der Lehrlinge auf etwa 20.000 zu steigern.
Um die Attraktivität der Lehre zu erhöhen, schlägt Hinteregger vor, ein verpflichtendes zweiwöchiges Praktikum in der 9. Schulstufe einzuführen. Dadurch sollen junge Menschen die Vorteile einer Lehre besser kennenlernen. Auch die Einführung von Urlaubsgutscheinen als Anreiz wird diskutiert. Es wird betont, dass kreative politische Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Die Reform der Lehrausbildung in Österreich wird als dringend erforderlich angesehen. Fischer und Hinteregger plädieren für flexiblere Ausbildungsmodelle, die den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Arbeitswelt gerecht werden. Zudem sollten Lehrpläne schneller an technologische Entwicklungen und neue Berufsbilder angepasst werden.
Die Rolle der Klein- und Mittelunternehmen (KMU) bei der Ausbildung von Lehrlingen wurde ebenfalls hervorgehoben. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Unternehmen die Mehrheit der Lehrlinge ausbilden, jedoch benachteiligt sind, wenn ihre Lehrlinge von größeren Unternehmen abgeworben werden.
Der SWV Wien fordert die Regierung auf, den Mangel an Fachkräften ernst zu nehmen und auf die Ideen der Unternehmer einzugehen, um Lösungen zu finden. Es wird betont, dass die Lehre eine Priorität sein muss und möglicherweise ein eigenes Staatssekretariat oder Ministerium benötigt, um die Situation zu verbessern. Fischer und Hinteregger sind der Meinung, dass das Problem des Fachkräftemangels in den letzten Jahren nicht angemessen angegangen wurde und dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, bevor es zu spät ist.
Historische Parallelen:
Ein vergleichbarer Rückgang der Lehrlingszahlen wurde in der Vergangenheit während wirtschaftlicher Krisen beobachtet, wie beispielsweise während der Finanzkrise 2008. Damals sank die Anzahl der Lehrlinge ebenfalls drastisch, was auf Unsicherheiten am Arbeitsmarkt und eine generelle Zurückhaltung bei der Einstellung von Auszubildenden zurückzuführen war. Im Vergleich dazu ist die aktuelle Situation jedoch durch den Fachkräftemangel geprägt, der zusätzlich zu den wirtschaftlichen Herausforderungen beiträgt. Die Forderung nach einer Modernisierung der Lehre zur Anpassung an die aktuellen Arbeitsmarktbedürfnisse spiegelt die Notwendigkeit wider, flexiblere Bildungswege zu schaffen, um den sich wandelnden Anforderungen gerecht zu werden.
Hintergrundinformationen:
In Österreich hat die Lehrlingsausbildung eine lange Tradition und ist ein wichtiger Bestandteil des Bildungssystems. Die duale Ausbildung, die theoretisches Wissen mit praktischer Erfahrung verbindet, wird von vielen Unternehmen geschätzt. Trotzdem stehen Lehrlingsausbilder und Lehrlingsbetriebe vor Herausforderungen, die sich aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel ergeben. Die Digitalisierung und technologische Weiterentwicklung erfordern eine ständige Anpassung der Ausbildungsprogramme, um den Nachwuchs optimal auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Die Rolle der KMU als Ausbilder und Arbeitgeber für Lehrlinge ist von entscheidender Bedeutung, da sie einen Großteil der Ausbildungsplätze bereitstellen. Eine Reform der Lehrausbildung ist notwendig, um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Attraktivität der Ausbildung zu steigern.