Deutschland steht vor einer fundamentalen Neubewertung seiner Finanzstrategien. In einem Szenario, in dem das Bargeld und die Ersparnisse der Bürger nicht nur auf sicheren Konten, sondern vielmehr aktiv am Kapitalmarkt investiert werden, könnte sich das wirtschaftliche Landschaft des Landes beachtlich verändern. Die deutsche Bevölkerung, die insgesamt ein Geldvermögen von beeindruckenden acht Billionen Euro besitzt, könnte mit einer relativ geringen Investition von etwa 1,5 Billionen Euro die Kontrolle über den Dax und damit über entscheidende Unternehmen des Landes gewinnen.
Ein solcher Schritt hätte weitreichende Konsequenzen. Über 60 Milliarden Euro an Gewinnen könnten nicht nur in den Niederlanden, Kanada oder den USA landen, sondern in den eigenen deutschen Pensionsfonds verbleiben. Die Anleger selbst würden nicht nur die Gewinner, sondern auch die Entscheider in den Unternehmen. Sie hätten Einfluss auf die Wahl der Unternehmensleitung, die Gehälter der Vorstände und könnten Fehlentscheidungen rascher abstellen.
Die Ineffizienz des deutschen Kapitalmarkts
Trotz des enormen Vermögens hat sich der deutsche Kapitalmarkt bisher als wenig einladend für innovative Unternehmen erwiesen. Diese ziehen somit oft ins Ausland, wie im Fall von Biontech, das seine Finanzierung in den USA suchte. Auch der bekannte Schuhhersteller Birkenstock hat sich entschlossen, seine Börsenpläne in New York umzusetzen. Ein solches Verhalten ist nicht verwunderlich – das Kapital folgt den besten Bedingungen und die oft schwierigen Kapitalbeschaffungsbedingungen in Deutschland können zu einem Verlust von Arbeitsplätzen und Steueraufkommen führen.
Um diesen Missständen entgegenzuwirken, plant die Bundesregierung, die „steuerlich geförderte private Altersvorsorge“ zu reformieren. Das Ziel ist es, Bürger zu ermutigen, aktiver in den Kapitalmarkt zu investieren, ähnlich wie es bereits in anderen Ländern praktiziert wird. Die neue Strategie sieht vor, dass nicht nur die Riester-Rente, die oft als schwerfällig und unflexibel gilt, gefördert wird, sondern auch private Anlageformen wie Wertpapiere, Fonds und ETFs.
Warum die Reform wichtig ist
Ein bedeutender Aspekt dieser Reform ist die potenzielle für den Staat. Bei einer breiteren Teilnahme am Kapitalmarkt durch die Bürger könnten die zu erwartenden Kapitalerträge die Staatskasse entlasten. Ein Anreizsystem könnte besonders denjenigen helfen, die mit ihren Ersparnissen knapp kalkulieren müssen. Eine erfolgreiche Anlage könnte die Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen im Alter vermindern, was dem Staat wiederum finanzielle Spielräume eröffnet.
Doch es gibt Risiken. Während der Kapitalmarkt langfristig höhere Renditen verspricht als herkömmliche Sparguthaben, ist er auch starken Schwankungen unterworfen. Die Sorge vor einem möglichen Crash ist berechtigt, könnte jedoch durch moderne Finanzprodukte mitigiert werden, die den Aktienanteil über die Zeit anpassen. Auf diese Weise wird das Risiko eines plötzlichen Verlusts vor der Auszahlung erheblich verringert.
Ein weiterer Punkt, der bei der Reform berücksichtigt werden muss, ist die Verantwortung gegenüber den Sparerinnen und Sparer. Transparenz in der Gebührenstruktur der Anlageprodukte muss gewährleistet sein. Die komplexen Finanzprodukte könnten viele Anleger abschrecken, weshalb eine neutrale Instanz notwendig wäre, die die angebotenen Produkte prüft und bewertet. Der Nutzen für die Finanzbranche ist klar, doch letztlich sind die größten Profiteure die Anleger selbst, die durch gut geplante und diversifizierte Anlagen von den Gewinnen der Unternehmen profitieren.
In dieser Vision für die Zukunft sollte das Ziel nicht einfach sein, dass die Deutschen einen Großteil des Dax besitzen. Vielmehr sollte angestrebt werden, dass deutsche Anleger durch ihre Investitionen in innovative Unternehmen weltweit von deren Fortschritten und Marktanteilen profitieren können – ein Szenario, das heutzutage noch in viel zu geringem Maß Realität ist.
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