Am 10. November 1938, dem schrecklichen Tag nach der Reichspogromnacht, erlebte die Stadt Kandel eine brutale Attacke auf ihre jüdischen Familien. Die Aufarbeitung dieser dunklen Geschichte bleibt bis heute äußerst kompliziert.
Die Berichte der RHEINPFALZ über die Stolpersteine haben das Schicksal der Familie Haas ans Licht gebracht, jedoch blieben die dramatischen Ereignisse nach der Reichskristallnacht in Kandel weitgehend unerwähnt. Ein Protokoll des Landgerichts Landau aus dem Oktober 1948 enthüllt die erschreckenden Details: SA-Männer, angeführt von Karl Burkhard, versammelten sich vor dem Bürgermeisteramt und stürmten das Anwesen von Oskar Haas in der Rheinstraße. Währenddessen befanden sich Haas‘ Sohn Richard und dessen Söhne bereits in Schutzhaft. Die SA-Männer drangen in die Wohnung ein und verwüsteten die Geschäfte der Familie.
Schockierende Zeugenberichte
Das Protokoll beschreibt eine chaotische Szene mit zahlreichen Tätern und Schaulustigen auf der Rheinstraße, von denen viele 1948 nicht mehr identifiziert werden konnten. Die meisten hatten sich auf Gedächtnislücken berufen, verursacht durch Kriegstraumata. Keiner wollte sich aktiv an der Zerstörung beteiligt haben, und doch schritt niemand ein, um die Gräueltaten zu stoppen. Lediglich Karl Burkhard wurde für seine aktive Rolle verurteilt, erhielt aber aufgrund seiner Verletzungen und seines vorangegangenen Verhaltens mildernde Umstände und nur eine achtmonatige Haftstrafe.
Ein Nachbar von Oskar Haas, Franz Göltz, wurde von der SA als „Judenfreund“ in Schutzhaft genommen, nachdem er sich über die Zerstörung seines Zaunes beschwert hatte. Der SA-Scharführer Ernst Heilmann, der damals im Rathaus arbeitete, konnte sich 1948 nicht erinnern, ob er Befehle von Burkhard erhalten hatte, und berief sich ebenfalls auf ein Kriegstrauma. Unterdessen gaben weitere Anwesende an, sie seien zufällig vorbeigekommen, und verhinderten, dass ein Auto von Richard Haas in Brand gesetzt wurde, wobei sie argumentierten, es sei noch brauchbar.