Die medizinische Landschaft in Deutschland steht unter erheblichem Druck. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, warnt, dass die Situation für viele Kliniken so ernst ist wie nie zuvor. Im Laufe eines Jahres sind die finanziellen Herausforderungen auf insgesamt sechs Milliarden Euro angewachsen, was eine alarmierende Entwicklung darstellt. Inflation, steigende Betriebskosten und unzureichende Vergütungen von Krankenkassen stellen viele Krankenhäuser vor existenzielle Probleme.
So müssen immer mehr Kliniken, die bisher als stabil galten, drastische Maßnahmen ergreifen. Ein Beispiel ist ein katholisches Krankenhaus in Schweinfurt, das aufgrund finanzieller Schwierigkeiten Insolvenz anmelden musste, obwohl es vor Kurzem noch gut da stand. „Die Politik hat uns einfach ausbluten lassen“, äußert die Schwester Oberin, eine Kritik, die Gaß teilt. Besonders die kirchlichen und gemeinnützigen Träger haben es schwer. Während öffentliche Einrichtungen oft von kommunalen Zuschüssen profitieren, müssen private und kirchliche Häuser häufig um ihre Existenz kämpfen.
Ein System im Wandel
Warum trifft die Inflation die Kliniken so hart? Im Gegensatz zu Unternehmen sind die Krankenhäuser nicht in der Lage, die Preise für ihre Dienstleistungen zu erhöhen. Sie sind auf gesetzlich festgelegte Vergütungen angewiesen, die in den letzten Jahren jedoch nicht mit den steigenden Kosten Schritt halten konnten. Diese unzureichenden finanziellen Mittel führen dazu, dass viele Einrichtungen vor der Schließung stehen.
Die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten leidet unter diesen Herausforderungen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise musste eine wichtige Klinik für Schlaganfallpatienten schließen, was ernsthafte Folgen für die Notfallversorgung hat. Durch Schließungen von Abteilungen wie Chirurgie oder Geburtshelfer sind immer häufiger längere Wartezeiten und Umwege für Patienten die Folge, was die Qualität der medizinischen Versorgung gefährdet.
Politische Maßnahmen in der Kritik
Gaß äußert zudem Bedenken bezüglich der jüngsten Reformen im Gesundheitswesen, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach anstrebt. Obwohl die Idee einer Vorhaltefinanzierung, die Kliniken finanzielle Sicherheit bieten soll, auf den ersten Blick positiv klingt, glaubt Gaß nicht, dass sie tatsächlich helfen wird. „Die Versprechen werden nicht eingehalten“, erklärt er. Stattdessen bleiben viele Einrichtungen unter dem Druck, genug Patienten zu behandeln, um finanziell überleben zu können.
Ohne grundlegende Änderungen könnte Deutschland auf eine „Wartelistenmedizin“ zusteuern, ähnlich wie in anderen Ländern. Bisher galt das deutsche Gesundheitssystem als Modell für einen schnellen Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung, sowohl für gesetzlich als auch für privat Versicherte. Gaß hebt hervor, dass die Politik unverzüglich aktiv werden muss, um diese Entwicklung abzuwenden.
Zusätzlich sorgt der öffentliche Streit über die Reformen für Verunsicherung unter den Beschäftigten und Patienten gleichermaßen. In vielen Regionen machen sich Bürger Sorgen um den Fortbestand ihrer Kliniken, was zu einem Vertrauensverlust in die öffentlichen Institutionen führt. Die gegenwärtige politischen Debatte fördert nicht nur Ängste, sondern könnte auch extremistische Parteien wie die AfD stärken, die das Thema Krankenhausversorgung für ihre Zwecke nutzen.
Laut Gaß ist ein ehrlicher Dialog zwischen Politik, Kliniken und der Bevölkerung unerlässlich, um die Herausforderungen im Gesundheitswesen erfolgreich zu bewältigen. Nur durch echte Kompromisse und eine auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmte Reform kann die medizinische Versorgung in Deutschland nachhaltig gesichert werden.
– NAG