In Deutschland spitzt sich die Situation in der Arzneimittelversorgung weiter zu, während die Herbst- und Wintersaison vor der Tür steht. Ärzte, Apotheker und Herstellerverbände äußern ihre Besorgnis über die bevorstehenden Herausforderungen in der Medikamentenversorgung, insbesondere im Hinblick auf die Grippeperiode. Trotz der Bemühungen der Bundesregierung, einen Lösungsansatz durch ein Lieferengpass-Gesetz zu finden, bleibt die Realität wenig erfreulich.
Eine aktuelle Umfrage von WELT AM SONNTAG zeigt, dass „jede zweite Rezeptausstellung von Lieferengpässen betroffen ist“, warnt der Apothekerverband Nordrhein. Dies spiegelt die besorgniserregende Realität wider, dass auch in diesem Jahr viele Patienten ohne essenzielle Arzneimittel auskommen müssen. Unter den fehlenden Medikamenten befinden sich nicht nur wichtige Asthmastoffe, sondern auch diverse Antibiotika. Markus Beier, der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes (HAEV), bestätigt, dass die Liste der betroffenen Wirkstoffe stetig wechselt und stark von regionalen Gegebenheiten abhängt.
Massive Lieferengpässe
Das jüngste Gesetz der Bundesregierung zur Bekämpfung von Lieferengpässen scheint bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht zu haben. „Die Maßnahmen haben bislang keine nennenswerte Wirkung entfaltet“, äußerte der Hessische Apothekerverband scharf. Diese unzureichenden politischen Anstrengungen behindern die Apotheken dabei, ihrer grundlegenden Aufgabe nachzukommen: Die Bevölkerung mit notwendigen Arzneimitteln auszustatten.
Auch die Hersteller rezeptfreier Medikamente kritisieren die Situation. Der Verband ProGenerika machte darauf aufmerksam, dass sich die Lage gegenüber dem Vorjahr nicht verbessert hat. Die Produktion von Kinderarzneimitteln und Antibiotika wurde nicht durch gezielte Anreize gefördert. „Solange die strukturellen Probleme nicht behoben sind, werden auch in diesem Winter wichtige Medikamente möglicherweise nicht rechtzeitig verfügbar sein“, warnte Pharma Deutschland.
Aktuelle Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sprechen von 498 Lieferengpässen (Stand 27.09.2024). Im vergangenen Jahr lagen die Zahlen mit ungefähr 1000 Engpässen zwar höher, die kommende Erkältungssaison könnte jedoch adäquate Vergleiche erschweren. Das Bundesgesundheitsministerium hingegen sieht die Situation entspannt. Man spricht nicht von einer generellen Versorgungsknappheit, sondern von “punktuellen Engpässen” innerhalb eines komplexen Marktes. Alternativen seien „fast immer“ verfügbar, so das Ministerium.
Besorgte Stimmen aus der Ärzteschaft
Ärzte und Apotheker kritisieren jedoch, dass die Verwaltung dieser Engpässe größtenteils in ihrer Verantwortung liege. Besonders Kinderarztpraxen berichteten bereits im letzten Jahr von erheblichen Lieferschwierigkeiten. Die diesjährige Infektsaison birgt wieder Risiken, vor allem bei Antibiotika. Tanja Brunnert von der BVKJ (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte) äußert: „Wir blicken mit Demut auf die beginnende Infektsaison. Sollten sich die großen Infektwellen wiederholen, könnten erneut Engpässe bei Kindermedikamenten auftreten.“
Der Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK) zeigt ebenfalls große Besorgnis: „Wir erhalten fast täglich Rückmeldungen von der Praxis, dass Medikamente nicht lieferbar sind“, erklärte der BNK-Sprecher Heribert Brück. Dies könnte zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen, insbesondere wenn Patienten auf bestimmte Arzneiklassen angewiesen sind.
Die politische Opposition übt scharfe Kritik an der Regierung und verweist auf die Ineffizienz der bisherigen Maßnahmen. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, betont: „Die Gesetze von Karl Lauterbach laufen ins Leere.“ Der Druck auf die Regierung wächst, da die bevorstehenden Monate viele Herausforderungen für Eltern und Patienten bereithalten. Kathrin Vogler von der Linkspartei bezeichnet die getroffenen Maßnahmen als „reine Flickschusterei“.
Diese Entwicklungen werfen ein Schlaglicht auf die schwerwiegenden Probleme in der Arzneimittelversorgung Deutschlands und die Schwierigkeiten, eine umfassende Lösung zu finden. Der Fokus auf Reformen ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass grundlegende Medikamente in der bevorstehenden Wintersaison für alle Patienten zur Verfügung stehen, insbesondere für die besonders vulnerablen Gruppen.