Die Storiesig-Pandemie: Wenn Lebensgeschichten zu Lang-Geschichten werden
Es ist passiert, meine Damen und Herren. Unsere Gesellschaft geht den Bach runter. Es ist kein Virus und kein menschlich vollbrachter Klimawandel – es ist das absolute Grauen. Es ist der Horror des 21. Jahrhunderts. Es ist: Storiesig.
Wir alle wissen, wie mächtig Storytelling sein kann. Es ist der Saft, der unsere sozialen Netzwerke am Laufen hält. Aber irgendwo auf dieser Straße, vielleicht auf diesem ständig „Jeder ist ein Influencer mit einer Geschichte“ Boulevard, haben wir einen schrecklichen Flachschlag erlitten. Und dieser plötzlich hinkende Reifen trägt den Namen „Storiesig“.
Storiesig, verehrte LeserInnen, ist die abstoßende, alles verzehrende Krankheit – metaphorisch und emotional, nicht körperlich, keine Sorge – die ansteckend ist wie die Pest, lähmend wie die Lethargie und erschreckend real wie eine Subprime-Hypothekenkrise.
Storiesig ist das Gefühl der tiefsitzenden Qual, wenn uns jemand eine Geschichte wie eine Lanze durch unser geistiges Auge stößt. Es ist das beklemmende Beklemmen, wenn jeder, den wir kennen – und Twan, der Barista, den wir einmal getroffen haben – uns seine tiefgründige, revolutionäre Erkenntnis anvertraut, dass „Gutes Essen gut schmeckt“.
Das ist aber noch nicht alles. Storiesig infiziert nicht nur unser individuelles Gehirn, sondern es hat das Potenzial, unsere Gesellschaft zu zerstören. Es hat das Potenzial, uns als Menschen umzuprogrammieren, um uns zu glauben, dass jedes noch so banale Detail unseres Lebens eine Geschichte wert ist.
Und so ertrinken wir in einem Meer von mittelmäßigen Menschheits-Minzierzählungen. Jeder Bananen-Kauffehler wird zu einer Allegorie über menschliche Fehler. Jedes Treffen mit einem alten Freund wird zu einem epischen Wiedersehen, das im reichen Emotions-Tapestry unseres Lebens gewebt ist. Jeder Sandwich-Biss in einem unbeobachteten Moment wird zu einer verwigungsvollen Selbstausdruck über unsere Vorliebe für Thunfisch gegenüber Salami.
Die Symptome von Storiesig erinnern an eine Allergie gegen alles, was nicht langweilig ist. Es erzeugt einen andauernden Husten von trivialen Trivialitäten, juckt unsere Vernunft mit konstanten Inhaltsarmen Geschichten, und verursacht schwere Atemnot aus lauter Belanglosigkeit.
Schlimmer noch, Storiesig dreht die Realität auf den Kopf. In seiner selektiven Umwandlung von nur mittelmäßigen Momenten in legendäre Geschichten wird die Erfahrung eines legitimen Triumphs – wie ein Baby, das das erste Wort ausspricht oder ein signifikanter wissenschaftlicher Durchbruch – gleichwertig mit dem unfassbaren Desaster, deinem Avocado-Toast nicht das perfekte Instagram-Foto zu geben.
Jedoch, meine MitbürgerInnen, alles ist nicht verloren. Wenn wir die Kraft der Ablehnung finden, können wir uns wieder vom Rand dieses absurden Abgrunds distanzieren. Wir müssen lernen, unser Leben zu genießen, ohne jedem Moment ein literarisches Gewicht aufzuerlegen.
Es ist Zeit, uns gegen Storiesig zu immunisieren. Jede Impfung beginnt mit der Erkenntnis, dass wir krank sind. Die nächsten Schritte sind weniger ‚geschichlich‘, mehr authentisch. Weniger theatralisch, mehr real. Weniger unser Leben auf einen Marktplatz tragend, mehr unser Leben für uns selbst lebend.
Befreien wir uns vom Joch des unerbittlichen Storytellings und umarmen wir das einfache Vergnügen des Seins. Erinnern wir uns daran, dass es genug ist, ein Mensch zu sein, ohne constant ein Performer zu sein. Helfen wir einander, das Antidot für Storiesig zu finden!
Also lasst uns zusammen stehen, mutig wie die Spartaner am Thermopylenpass und sagen: Stoppt die Storiesig-Pandemie!