Es war der 9. November 1989, ein Datum, das sich in die Geschichte eingebrannt hat. Die Mauer, die Berlin jahrzehntelang geteilt hatte, fiel. Andrea Lindow-Bahl, geboren 1965 in West-Berlin, erlebte diesen historischen Moment hautnah mit. Aufgewachsen in einer Stadt, in der das Wort DDR stets in Anführungszeichen stand, war sie Zeugin eines Ereignisses, das die Welt veränderte. Doch die Geschichte begann für sie bereits einige Tage zuvor, als sie am 4. November 1989 mit ihrem damaligen Freund, einem Geschichtsstudenten, nach Ost-Berlin reiste. Dort erlebten sie eine Führung durch den Berliner Dom, während nur wenige Schritte entfernt auf dem Alexanderplatz eine riesige Demonstration stattfand.
Die Nacht des Mauerfalls verbrachte Andrea vor dem Fernseher bei ihren Eltern. Die legendäre Schabowski-Pressekonferenz hatte sie nicht live gesehen, aber die Nachricht verbreitete sich schnell. Ihr Freund machte sich noch in der Nacht auf zur Bernauer Straße, während Andrea von einer Mischung aus Unglauben und Angst ergriffen wurde. Ohne Handy war es unmöglich, in Kontakt zu bleiben, und die Ungewissheit über das Schicksal ihres Freundes hielt sie wach. Am nächsten Tag kehrte er kurz zurück, bevor er wieder in das pulsierende Leben der Stadt eintauchte, die sich im Umbruch befand.
Ein neues Kapitel beginnt
In der Bibliothek am Kottbusser Tor, wo Andrea als „Heimatkunde“-Referentin arbeitete, war der Mauerfall allgegenwärtig. Nur 700 Meter von der Mauer entfernt, hörte man das unaufhörliche Klopfen der Mauerspechte. Die Bibliothek wurde zu einem Treffpunkt für Ost-Berliner, die sich in langen Schlangen für Bibliotheksausweise anstellten. Die Nachfrage nach Berlin-Reiseführern stieg sprunghaft an, und Andrea musste täglich die Zahl der Neuanmeldungen an die Senatsverwaltung melden. Die Ereignisse jener Tage waren schlichtweg „Wahnsinn“.
Die Veränderungen, die der Mauerfall mit sich brachte, prägten Andreas berufliches und privates Leben nachhaltig. Sie wurde zur „Drei-Tore-Bibliothekarin“, die ohne den Mauerfall wahrscheinlich einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen hätte. Heute arbeitet sie in der Bibliothek am Frankfurter Tor, einem Symbol für die Einheit Berlins und die Überwindung der Teilung. Andrea Lindow-Bahl ist nicht nur Zeitzeugin eines historischen Moments, sondern auch ein lebendiges Beispiel dafür, wie die Geschichte das Leben eines Einzelnen formen kann.