In Lüneburg erleben Frauen eine herausfordernde Realität, wenn es um die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft geht. Julia Meiner, 19 Jahre alt, beschreibt ihre Empfindungen nach dem positiven Schwangerschaftstest deutlich: „Ich war total geschockt, als ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt. Das passt gerade überhaupt nicht in mein Leben, war das Erste, was ich gedacht habe.” Diese Erfahrung ist nicht nur persönlich, sondern spiegelt eine breitere Problematik wider.
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr über 100.000 Schwangerschaftsabbrüche, wobei Lüneburg mit jährlich rund 250 Fällen eine beachtliche Zahl aufweist. Corinna Heider-Treybig von Pro Familia, die seit rund 20 Jahren Frauen in Lüneburg berät, betont die unzureichende medizinische Versorgung. In dieser Stadt gibt es lediglich zwei Einrichtungen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen können, während Nachbarstädte wie Uelzen bereits drei solche Stellen anbieten.
Mangelnde Terminverfügbarkeit und Beratung
Die beschränkte Anzahl an Kliniken führt häufig dazu, dass Frauen lange auf einen Termin warten müssen. „Manche Frauen sprechen kein Deutsch, können es sich finanziell nicht leisten oder haben niemanden, der sie nach der Vollnarkose abholt“, schildert Heider-Treybig die Herausforderungen, denen sich viele Frauen gegenübersehen.
Bei den jährlichen Schwangerschafts-Konfliktberatungen in den drei Beratungsstellen in Lüneburg nehmen mehr als 350 Frauen teil. Alena Guzy von Donum Vitae merkt an: „Wenn sie zu uns kommen, haben die meisten Betroffenen bereits eine Entscheidung getroffen.“ Diese Entscheidungen sind oft von emotionalen und sozialen Faktoren geprägt.
Marie List, eine 39-jährige Frau, erzählt von ihrer Erfahrung: „Meine Schwangerschaft entstand aus einem Seitensprung, deshalb war für mich klar, dass ich das Kind nicht bekommen möchte. Vor der Beratung bei Donum Vitae hatte ich ein wenig Angst, doch ich wurde positiv überrascht und fühlte mich sehr wohl.“ Doch ihre Erfahrungen im Klinikum waren weniger ermutigend. „Ich fühlte mich irgendwie sofort schuldig.“
Lena Meese, 31 Jahre alt, berichtet von ihrer Notwendigkeit, nach Hannover zu fahren, weil sie im Lüneburger Klinikum keinen Termin erhielt. Diese zwingende Reise zeigt die Dringlichkeit, die Frauen empfinden, um ihre Entscheidungen zeitnah treffen zu können: „Es war wirklich blöd, dass ich das nicht hier, in meiner Heimat, habe machen können.”
Medikamentöse Abbrüche und politische Herausforderungen
Aktuell entscheiden sich 63 Prozent der Frauen in Lüneburg für einen medikamentösen Abbruch, der seit September 2023 in einer gynäkologischen Praxis angeboten wird. Eine Gynäkologin aus der Praxis äußert Bedenken: „Wir finden es politisch nicht haltbar, dass es außer bei uns keine Möglichkeit für einen medikamentösen Abbruch in Lüneburg gibt.“ Dies verweist auf die Notwendigkeit einer besseren Versorgung und die Herausforderungen, die im politischen Rahmen bestehen.
Die rechtlichen und finanziellen Hürden können die Situation zusätzlich erschweren. Der Schwangerschaftsabbruch wird in Niedersachsen extrem schlecht vergütet, wodurch Anreize für Praxen fehlen, diesen Service anzubieten. „In Hamburg bekommen die Praxen zum Beispiel dreimal so viel wie wir“, erläutert die Gynäkologin und verdeutlicht die Ungleichheiten im System.
Der gesellschaftliche Druck und die rechtlichen Rahmenbedingungen sind ebenfalls hoch. Heider-Treybig weist darauf hin, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch unmittelbar hinter schweren Verbrechen wie Mord eingeordnet ist, was in den Köpfen vieler Ärzte präsent bleibt. Diese gesetzliche Lage behindert nicht nur die medizinische Praxis, sondern auch den Zugang für Frauen zu notwendigen Dienstleistungen.
Es gibt jedoch Hoffnung auf Besserung. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hat im April eine Entkriminalisierung von Abtreibungen in der Frühphase empfohlen. Dennoch bleiben offene Fragen, da die zuständigen Ministerien unklar lassen, ob in dieser Wahlperiode mit einer Gesetzesänderung zu rechnen ist.
Quelle: dpa