
Tashkent, Usbekistan, ähnelt beim Fahren durch die Stadt einem Architektur-Bilderbuch, das mit Beispielen für sowjetischen Brutalismus, Orientalismus, Modernismus, Futurismus und neoklassizistische Stile gefüllt ist. Die beeindruckenden Gebäude in der Hauptstadt Usbekistans ziehen an Designliebhabern vorbei wie ein Karussell.
Architektur und urbane Erneuerung in Tashkent
Nach einem verheerenden Erdbeben, das 1966 einen Großteil der Infrastruktur zerstörte, wurde Tashkent zu einem Experimentierfeld für Urbanismus. Architekten strömten in die Stadt, um Straßen, Wohnblocks, Hotels, Theater, Einkaufszentren, U-Bahn-Stationen und eine Vielzahl öffentlicher Gebäude zu errichten, die unterschiedliche Ansätze für ein progressives sozialistisches Leben boten.
Heute entstehen neue Wahrzeichen, entworfen von renommierten Architekten wie der verstorbenen Zaha Hadid und Tadao Ando. Zudem wird eine „Olympiastadt“ mit fünf modernen Sportstätten für die Asiatischen Jugend-Olympischen Spiele 2025 im Planung sein. Abgesehen von der Hauptstadt beherbergen die Städte Buchara, Samarkand und Chiwa eine Vielzahl antiker „Toki“ (kuppelförmige Märkte), „Madrasa“ (Schulen) und „Karawansereien“ (Gasthöfen), die für die Händler entlang der Seidenstraße errichtet wurden.
Bewahrung des architektonischen Erbes
Die Regierung von Präsident Shavkat Mirziyoyev setzt stark auf die Förderung dieses reichen architektonischen Erbes im Rahmen einer Kampagne, um die ehemalige Sowjetrepublik der Welt zu öffnen. Die Konservierung historischer Stätten hat dabei oberste Priorität.
„Durch die Erhaltung und Restaurierung dieser einzigartigen architektonischen Schätze positionieren wir Usbekistan als globales Kulturziel“, erklärte Gayane Umerova, Vorsitzende der Usbekischen Kunst- und Kulturentwicklungsstiftung (ACDF), in einer Erklärung gegenüber CNN. Sie fügte hinzu, dass sich die Investitionen durch erhöhte Tourismuseinnahmen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die städtische Revitalisierung und das kulturelle Branding auszahlen werden, während gleichzeitig unser Erbe in dieser neuen Ära bewahrt und neu interpretiert wird.
Brutalismus zwischen Liebe und Abneigung
Die Neuinterpretation einer kollektiven Identität beschäftigt eine Nation, die erst 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte. In Usbekistan, wo 60 % der Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind, sind nicht alle mit den Überbleibseln der sowjetischen Vergangenheit einverstanden. Junge Usbeken bevorzugen häufig westlich gestaltete Wohnungen und verweisen stolz auf die glänzenden Türme im internationalen Geschäftsviertel, darunter das expansive Tashkent City Mall. Unvermeidlich treffen die generische Glas- und Stahl-Modernität manchmal auf die Agenda der Erhaltungsanstrengungen. So löste der Abriss des ikonischen Dom Kino-Kinos im Jahr 2017 – um Platz für einen Gewerbepark zu schaffen – besonders die Erhaltungsbefürworter zum Handeln auf.
Internationale Ausstellungen und Anerkennung
In den letzten drei Jahren hat die ACDF zehn Ausstellungen in zehn Ländern organisiert, darunter Ausstellungen im Louvre in Paris und der Mailänder Triennale. Außerdem wurden Konferenzen abgehalten, unter anderem mit dem gefeierten niederländischen Architekturtheoretiker Rem Koolhaas und weiteren Experten von UNESCO, dem Guggenheim, dem venezianischen Erbe und dem British Council. Ein App zur Erkundung des „Tashkent Modernism“ wurde entwickelt, und ein umfangreiches Buch mit dem Titel „Tashkent Modernism XX/XXI“ wurde herausgegeben.
Ein neues Verständnis für nachhaltige Architektur
Im Zuge des aktuellen Baubooms zieht Usbekistan erneut progressive Ideen für den Bau an, ähnlich wie in den 1960er und 1970er Jahren. Diesmal jedoch steht Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Wael Al Awar, der libanesische Architekt, der die erste Bukhara Biennale mitkurat, hebt hervor, dass die alten Städte des Landes viele grüne Lösungen bieten. Während Gebäude für fast 40 % der globalen Kohlenstoffemissionen verantwortlich sind, kritisiert Al Awar die Standardisierung und Globalisierung in der Architektur, die zur Homogenisierung der Skylines geführt hat. „Die Strukturen Usbekistans hingegen sind kontextuell“, betont er.
Die meisten alten Gebäude Usbekistans sind von Natur aus energieeffizient, so Takhmina Turdialieva, Mitbegründerin des Tashkent-basierten Kollektivs Tatalab. Sie verweist auf die historischen öffentlichen Gebäude und Wohnhäuser in den Seidenstraßenzentren. „Es ist im Sommer sehr angenehm und die Gebäude bleiben im Winter warm, dank der Auswahl der Baumaterialien und einer gut durchdachten Luftzirkulation. Wenn wir diese passiven Entwurfsmethoden lernen, benötigen wir keine neuen Technologien, um Gebäude nachhaltiger zu machen“, fügte sie hinzu.
Die Vision eines modernen Usbekistan
„Moderne Architektur in Usbekistan sollte auf traditionellen Baumaterialien wie Ziegel und Lehm basieren“, fügt sie hinzu. „Wir können mit diesen umweltfreundlichen Materialien unterschiedliche Designs ausdrücken und dabei die Traditionen im Hinterkopf behalten. So zeigen wir, was modernes Usbekistan ausmacht“, erläutert sie.
Diese neue Vision von Modernität nimmt Gestalt an in New Tashkent City, einer Erweiterung der Hauptstadt Usbekistans über 20.000 Hektar, die sich als Zentrum nachhaltiger Gestaltungsansätze etabliert. Der gewonnene Entwurf für das Alisher Navoi International Scientific Research Centre von Zaha Hadid Architects beispielsweise verwendet lokal produzierte Ziegel, um die charakteristischen avantgardistischen, geschwungenen Strukturen der Firma zu verwirklichen.
Turdialieva, die auch die Young Architect’s Association of Uzbekistan leitet, ist überzeugt, dass das globale Interesse an usbekischem Design dazu beitragen könnte, die nächste Generation von Architekten zu inspirieren. „Vielleicht ist dies ein Ausgangspunkt, an dem lokalen Architekten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, damit sie ihr Potenzial besser entfalten können“, sagt sie.
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