In Thüringen ist in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel in der queeren Landschaft zu beobachten. Unter der Regierung von Rot-Rot-Grün haben sich zahlreiche queere Initiativen etabliert, die eine wichtige Anlaufstelle für die LGBTQ+-Community bieten. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Zukunft vieler Projekte, wie dem Queeren Zentrum in Erfurt, ungewiss. Dies wirft die Frage auf: Was geschieht mit diesen Initiativen nach den bevorstehenden Landtagswahlen?
Das queere Zentrum in Erfurt beheimatet eine Vielzahl von Veranstaltungen und unterstützt Menschen, die nach Gemeinschaft suchen. Bei einem Besuch im Zentrum herrscht reges Treiben. Besucher waiten darauf, gemeinsam am Begegnungscafé teilzunehmen, und es wird noch eifrig für das leibliche Wohl gesorgt. Sina, ein neuer Besucher aus Jena, hat hier eine wichtige Gemeinschaft gefunden, die ihm während seiner persönlichen Herausforderungen Halt gibt.
Die Rolle des queeren Zentrums
Für viele Menschen spielt das queere Zentrum eine bedeutende Rolle in ihrem Leben. Sam, eine 35-jährige Erzieherin, blickt auf ihre Erfahrungen zurück: „Ich habe hier viel über mich selbst gelernt.“ Das Zentrum bietet einen Raum, in dem man nicht ständig über seine Identität sprechen muss, sondern einfach man selbst sein kann. Dies ist besonders für Jugendliche von großer Bedeutung, die mit ihren eigenen Identitäten ringen.
Doch die Unsicherheit über die finanzielle Förderung des Zentrums schwebt wie ein Damoklesschwert über der Gemeinschaft. Die finanzielle Unterstützung erfolgt durch die thüringische Staatskanzlei, doch die Zukunft dieser Finanzierung bleibt fraglich. Damit stehen nicht nur soziale Angebote auf der Kippe, sondern auch die gesamte Existenz solch wichtiger Anlaufstellen.
Luna Karsubke, die Koordinatorin des Queeren Zentrums, berichtet von ihrer eigenen Erfahrung mit Diskriminierung. Sie merkt an, dass es eine besorgniserregende Tendenz zu offener Feindseligkeit gegen queere Menschen gibt. Während einige Akzeptanz zeigen, gibt es auch jene, die mit feindlichen Blicken und beleidigenden Kommentaren reagieren. „In der Stadt werden erkennbare Neonazis oft scheinbar mehr akzeptiert als queere Menschen.“
Doch nicht alles ist verloren. Die vergangenen Jahre haben auch einen positiven Wandel ins Rollen gebracht. In ländlichen Gebieten sind neue queere Gruppen entstanden, wie ein Stammtisch in Nordhausen, der frischen Wind in die queere Szene bringt. Politisch gibt es ebenfalls Bewegung: Seit 2018 gibt es das Landesprogramm „Akzeptanz und Vielfalt“, das die Unterstützung queeren Lebens fördern und die Bekämpfung von Diskriminierung vorantreiben soll. Leider gibt es in der Umsetzung noch erhebliche Defizite.
Die queerpolitische Sprecherin der Grünen, Laura Wahl, hat im Landtag eine Anfrage zur Umsetzung des Programms gestellt. Die Antwort offenbart, dass von 228 geplanten Maßnahmen lediglich 91 umgesetzt wurden. Schutzräume für queere Menschen in Not und Beratungsangebote im ländlichen Raum fehlen ebenfalls, was die ohnehin angespannte Lage für viele Betroffene noch verschärft.
Die Staatskanzlei teilt mit, dass in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt noch ein Bewusstsein fehlt, das als Querschnittsthema agieren sollte. Wahl vermutet, dass ein politischer Wille zur Verbesserung der Situation weiterhin aussteht. „Queerpolitik spielt im Thüringer Landtag eine Nischenrolle“, kritisiert sie und bedauert, dass es nicht besser gemacht wird, um nicht für „Kulturkampf“ missbraucht zu werden.
In der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle in Thüringen ist Matthias Gothe tätig. Er bezeichnet die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs als „Mammutaufgabe“, da viele Akteure und Kooperationen notwendig sind. Das Team ist jedoch unterbesetzt und kämpft sich durch behördliche Strukturen, wo häufig nicht klar ist, wer für queere Themen zuständig ist. Gleichstellungsbeauftragte konzentrieren sich in der Regel auf die Gleichstellung von Frauen und Männern, wodurch queerpolitische Themen oft unbeachtet bleiben.
Die Reaktionen aus den Behörden sind gemischt. Matthias Gothe stellt fest, dass manche Stellen unterstützend agieren, während andere ablehnend gegenüber Anfragen zu queeren Themen sind. Besonders in ländlichen Gebieten zeigt sich die Problematik, wenn Sozialarbeiter an Jugendämtern versuchen, queere Angebote zu positionieren und ihnen dabei Widerstand begegnet.
Das Problem der Diskriminierung bleibt weiterhin besorgniserregend. Karsubke warnt, dass queere Diskriminierung in Thüringen „ziemlich unsichtbar“ ist. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es keine zentrale Stelle zur Erfassung dieser Vorfälle. Die Beratungsstelle ezra dokumentiert zwar Fälle rechter Gewalt, bei Diskriminierungen gegenüber queeren Personen findet jedoch keine umfassende Erfassung statt. Im Jahr 2023 wurden lediglich sechs Übergriffe gegen queere Menschen dokumentiert, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Theresa Lauß von ezra stellt fest, dass viele nicht wissen, dass sie dort auch Unterstützung bei Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung suchen können.
Und was bringt die Zukunft nach der Landtagswahl? Die Stimmung in der queeren Community ist angespannt, viele denken ernsthaft darüber nach, Thüringen zu verlassen. „Das ist traurig, aber nachvollziehbar“, erklärt Lauß. Karsubke hat bereits einen „Notfallplan“ geschmiedet, um im Falle einer weiteren Verschlechterung der gesellschaftlichen Stimmung schnellstmöglich zu handeln. Ihre Sichtbarkeit im queeren Zentrum sieht sie als Verantwortung, die sie weiterhin wahrnehmen möchte, auch wenn dies Risiken birgt.
Matthias Gothe bleibt zwar optimistisch, äußert jedoch auch Bedenken, vor allem in Bezug auf den Einfluss rechter Parteien. „Die letzten Jahre haben gezeigt, wie viel Potenzial in Thüringen steckt, doch die Unsicherheit vor den Wahlen kostet viele Nerven,“ fasst Gothe zusammen.
– NAG