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Veröffentlichung von Gewaltvideo auf krone.at verstößt gegen Medienethik

Veröffentlichung von Gewaltvideo auf krone.at verstößt gegen Medienethik

Nach Ansicht des Senats 2 des Presserats verstößt die Veröffentlichung eines Gewaltvideos beim Beitrag „Mitgefilmt: Jugend-Gang verprügelt Mädchen!“ auf "krone.at" gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Vorspann zum Beitrag heißt es, dass ein bestimmtes TikTok-Video das Netz schockiere. Eine fünfköpfige Jugendgang verprügle zwei Mädchen brutal und filme die Tat sogar mit. Die zwei mutmaßlichen Haupttäter würden nun in U-Haft sitzen.

Im Artikel wird angemerkt, dass eine Münchener Jugendbande von einem 15-jährigen Mädchen Geld erpressen habe wollen. Nachdem sich die 15-Jährige geweigert hätte, sei sie mehrfach geschlagen, getreten, mit einem Messer bedroht und schließlich ausgeraubt worden. Als die 12-jährige Freundin des Opfers dazu gekommen sei, habe die Gruppe auch von ihr eine Summe von 1.000 Euro verlangt. Am Ende des Artikels wurde festgestellt, dass die beiden Mädchen laut Polizei drei Stunden in den Fängen der brutalen Bande gewesen seien, ehe sie flüchten konnten. Die Eltern hätten noch am selben Abend Anzeige erstattet, die Polizei habe alle fünf Tatverdächtigen ermitteln können.

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Dem Beitrag waren Aufnahmen aus einem Video beigefügt, das mit dem Handy aufgenommen wurde. Darin wird gezeigt, wie den Opfern u.a. ins Gesicht geschlagen wird. Das Bildmaterial ist großflächig verpixelt, weshalb die Abgebildeten die meiste Zeit über bloß schemenhaft erkennbar waren.

Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte die Veröffentlichung des Videos als medienethisch unzulässig, zumal dies zu Nachahmungstaten führen könnte. Die Medieninhaberin nahm nicht am Verfahren teil.

Der Senat merkt zunächst an, dass die Diskussion über brutale Gewalt von Jugendlichen für die Allgemeinheit relevant ist. Zusätzlich besteht ein öffentliches Interesse auch daran, die Verbreitung von Gewaltvideos in den sozialen Medien kritisch zu beleuchten. Aus diesem öffentlichen Interesse ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz von Gewaltopfern missachtet werden darf; speziell bei Berichten über Jugendliche ist ein öffentliches Interesse daran besonders kritisch zu prüfen und bei Kindern dem Schutz der Intimsphäre sogar Vorrang gegenüber dem Nachrichtenwert einzuräumen (Punkte 6.2 und 6.3 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).

Nach Auffassung des Senats verletzt die vorliegende Veröffentlichung die Persönlichkeitssphäre der betroffenen Opfer eklatant: Im Video werden das 15-jährige und das 12-jährige Mädchen gezeigt, wie sie von der tatverdächtigen Jugendgruppe brutal geschlagen, geohrfeigt und getreten werden; die durch das Video vermittelte Grausamkeit den beiden Mädchen gegenüber ist erschütternd. Die Senate des Presserats haben bereits mehrfach festgestellt, dass verstörende Bildaufnahmen von Gewalttaten in die Würde und Intimsphäre der Opfer eingreifen (siehe u.a. die Entscheidungen 2015/S008-II, 2020/293 und 2021/054).

Dabei ist es unerheblich, dass das Bildmaterial großflächig verpixelt wurde und die Abgebildeten die meiste Zeit über bloß schemenhaft erkennbar sind. Für ihre nahen Angehörigen und Bekannten waren die Opfer bereits aufgrund des drastischen Vorfalls bzw. der Begleitumstände jedenfalls identifizierbar. Zudem rechtfertigt die vorherige Verbreitung des Gewaltvideos auf der Plattform TikTo die Übernahme derart verstörender Aufnahmen nicht automatisch: Eine Redaktion muss eigenständig darüber entscheiden, ob das vorliegende Bildmaterial persönlichkeitsverletzend ist.

Im Übrigen sollten Medien gerade bei Bildmaterial, in dem brutale Gewalt zu sehen ist, zurückhaltend sein und damit verantwortungsvoll umgehen. Der Senat weist darauf hin, dass Onlinebeiträge auch Kindern und Jugendlichen zugänglich sind; der Schutz dieser Kinder und Jugendlichen sollte für die Medienverantwortlichen oberste Priorität haben. Darüber hinaus trägt die Veröffentlichung des Gewaltvideos zur Verrohung bei; es ist nicht auszuschließen, dass das Video zu Nachahmungstaten anregt.

Nach Auffassung des Senats dienten die gezeigten Videoausschnitte offenbar der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Leserinnen und Leser (Punkt 10.3 des Ehrenkodex); das brutale Bildmaterial wurde wohl in erster Linie deshalb verwendet, damit sich der Beitrag im Internet stärker verbreitet. Im Ergebnis wurde das betroffene Medium seiner Filterfunktion nicht gerecht.

Der Senat wertet es zwar als positiv, dass der gesamte Beitrag mittlerweile nicht mehr abrufbar ist und somit vom Medium im Nachhinein entfernt wurde (vgl. in diesem Zusammenhang Punkt 2.4 des Ehrenkodex). Der schwerwiegende Eingriff in die Privatsphäre der abgebildeten Opfer erlaubt es dem Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht, von einem Verstoß gegen die Punkte 5 und 6 des Ehrenkodex abzusehen.

Selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung einer Leserin

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von "krone.at" hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin der "Kronen Zeitung" hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.



Quelle: Österreichischer Presserat / ots

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