Inmitten von hitzigen Debatten über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft erregt Peter Strohschneider, ein Gigant der Wissenschaftspolitik, Aufsehen. Als ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und gegenwärtiger Vorsitzender des Stiftungsrates der Universität Göttingen bringt der Mediävist tiefgreifende Einsichten zu Themen, die viele bewegen. Sein kürzlich veröffentlichtes Buch „Wahrheiten und Mehrheiten“ betrachtet kritisch den wachsenden Scientismus – eine Überzeugung, die Wissenschaft unbegrenzte Entscheidungsgewalt zuspricht. „Man muss immer mit künftigen Besserwissern rechnen“, ruft er ins Publikum, in dem sich zahlreiche angesehene Göttinger Wissenschaftler versammelt haben.
Strohschneider entblättert die wachsende Kluft zwischen politischer Handlungsfähigkeit und wissenschaftlicher Evidenz. Auf den Treffen des Göttinger Literaturherbstes, wo er mit dem Literaturkritiker Lothar Müller diskutierte, zog er spannende Parallelen zwischen naturwissenschaftlichen Grundsätzen und den politischen Herausforderungen des deutschen Austiegs aus der Atomkraft. „Wenn wir es politisch nicht diskutieren wollen, müssen wir es wissenschaftlich klären“, erklärt er, wobei die Frage aufkommt, welche Wissenschaft und wohin man überhaupt folgen soll. Kritisch hinterfragt er die neue Wissenschaftsgläubigkeit, die oft nicht auf einem echten Verständnis basiert, sondern einem blinden Glauben an Wissenschaft.
Zeit- und Problemdruck in der Wissenschaft
Mit einem scharfen Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen argumentiert Strohschneider, dass Demokratie auf Mehrheiten basiert, während Wahrheiten solide Grundlage erfordern. In einem Diskurs, den er als Wissenschaftsdespotie kritisiert, führt der Druck auf schnellen Entscheidungen dazu, dass Wissenschaftler in Entscheidungsfindungen überproportional Einfluß gewinnen. „Ihre Stimme wird nicht gezählt, sondern gewogen“, unterstreicht Moderator Müller, und reigniert damit die Sorgen um die Demokratie. Wo bleibt der Platz für abweichende Meinungen? Strohschneider fordert eine kritische Auseinandersetzung mit sogenannten Querdenkern, die ihre eigenen Argumente vortragen, oft basierend auf persönlichen Erlebnissen, und bemerkt die Schattenseiten eines unreflektierten wissenschaftlichen Diktats.
In einem sozialen Klima, das vom Misstrauen und dem Aufkommen von Verschwörungstheorien geprägt ist, stellt sich die Frage: Wer soll für die Verbreitung von Wahrheiten verantwortlich sein? Wissenschaftler oder Politiker? Mit einem humorvollen Einblick in die unberechenbare Welt der „narzisstischen Wissenschaftler“ sorgte Strohschneider für schallendes Gelächter im Saal, während er die ernsthaften Themen beleuchtet, die uns alle betreffen.