Auf den ersten Blick wirkt das Hotel Holiday Inn Express in Crawley in der südenglischen Grafschaft Sussex verlassen. Auf dem Parkplatz steht kein einziges Auto, die Türe ist geschlossen, und die Vorhänge der meisten Fenster sind zugezogen. Auf einer kleinen Mauer sitzen zwei Männer, die eine Zigarette rauchen. In gebrochenem Englisch erzählen sie, sie stammten aus Eritrea, seien mit einem Boot über den Ärmelkanal gelangt und wohnten seit einigen Monaten im Hotel, das als Unterkunft für Asylsuchende dient.
Nach wenigen Minuten stürmt ein Wachmann aus dem Gebäude und beendet das Interview abrupt. Weitere Hotelangestellte eilen herbei, schicken die beiden Eritreer ins Hotel zurück. Sie betonen, zur Sicherheit der Asylsuchenden seien Medieninterviews auf dem Grundstück nicht gestattet. „Wir haben die Vorsichtsmassnahmen erhöht nach allem, was in den letzten Wochen geschehen ist“, erklärt einer und verweist für alle weiteren Fragen ans Innenministerium.
Spannungen in Crawley: Rechte Krawalle und linke Gegendemonstrationen
Die Nervosität überrascht nicht. Im Zuge der Unruhen in englischen Städten waren mehrere Hotels, die als temporäre Unterkünfte für Asylsuchende dienen, zur Zielscheibe von Angriffen geworden. In Rotherham versuchten rechte Krawallmacher gar, ein Hotel in Brand zu setzen. Im Internet kursierten Anfang August auch Aufrufe zu Protesten vor dem „Holiday Inn Express“ in Crawley. Am Ende aber reisten Hunderte Gegendemonstranten aus der linken Hochburg Brighton an und versetzten die rechten Protestierenden in die Minderheit.
Crawley ist kein Touristenmagnet, sondern eine unscheinbare südenglische Ortschaft. Sie liegt verkehrstechnisch gut an der Autobahn- und der Zugstrecke zwischen London und Brighton. Zudem hat der nahe gelegene Flughafen Gatwick Firmen in den Bereichen Aviatik, Logistik oder Lagerung angezogen. Auch das Hotel Holiday Inn Express war bis zu seiner Umnutzung auf den nur zehn Autominuten entfernten Flughafen ausgerichtet. Passagiere verbrachten hier eine Nacht vor einer frühen Flugverbindung. Handwerker stiegen hier für temporäre Arbeitseinsätze am Flughafen ab.
Dass nun stattdessen Asylsuchende in den Zimmern logieren, löst bei der Lokalbevölkerung keine Begeisterung aus. „Wenn die jungen Männer in Gruppen ausgehen, stört mich das“, sagt die 62-jährige Indira Jagan, die in einem Wohnblock gleich neben dem Hotel wohnt. „Ich bin selber Migrantin und weiß, dass man sich anpassen muss“, erklärt sie. Die aus dem westafrikanischen Mauritius stammende Frau hat lange in Italien gelebt und die dortige Staatsbürgerschaft erlangt, bevor sie vor sieben Jahren vor dem Vollzug des Brexits nach Großbritannien ausgewandert ist. Nun arbeitet sie als Reinigungskraft in einem Krankenhaus des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS).
Die Nutzung von Hotels als Asylunterkünfte begann während der Corona-Pandemie. Im Auftrag der britischen Regierung mieteten Agenturen Zimmer in unrentablen Hotels, die wegen der ausbleibenden Touristen kaum Buchungen aufwiesen. Die Hoteliers konnten zwar nicht den vollen Preis verrechnen, machten aber ein gutes Geschäft dank der garantierten Vollbelegung und Kostensenkungen, da beispielsweise die Zimmer nicht täglich gereinigt werden mussten. Auch die Vermittler strichen saftige Gewinne ein.
Labour plant radikale Änderungen
Die neue Labour-Regierung von Keir Starmer hat versprochen, in den nächsten zwölf Monaten alle Asyl-Hotels zu schließen. Nach der Beerdigung des Rwanda-Plans will sie den Bootsmigranten wieder ein ordentliches Asylverfahren gewähren und die Pendenzen so abbauen. Prioritär behandelt werden sollen Gesuche von Menschen aus Indien, Vietnam oder Albanien, die kaum je Asyl erhalten und rasch in ihre Heimat abgeschoben werden sollen. Zudem will die Labour-Regierung die Asylsuchenden besser im Land verteilen, so dass nicht nur ärmere Gegenden Unterkünfte beherbergen müssen.
Genutzt werden in der Regel Hotels in ärmeren Regionen im Norden Englands oder in Flughafengemeinden wie Crawley, wo die Zimmerpreise eher tief sind. Die Asyl-Hotels befeuern den Unmut vieler Anwohner, die unter den steigenden Lebenshaltungskosten leiden und sich oft keine Ferien in einem Hotel leisten können. Über das Asyl-Hotel in Crawley ärgert sich auch der Lokomotivführer Steve, der nur seinen Vornamen nennen möchte. „Die Situation ist absolut lächerlich“, ruft er aus.
Der Mittfünfziger betont, dass er nicht grundsätzlich gegen Migration (Invasion) sei. Doch habe die Einwanderung ein zu hohes Ausmaß angenommen. Steve sagt, er wohne seit 16 Jahren in der Nachbarschaft des „Holiday Inn Express“. Seit dieses keine Handwerker und Touristen mehr beherberge, beklagten sich die Besitzer von Restaurants und Pubs in der Umgebung über Umsatzeinbußen.
Negative Folgen machen auch die Behörden von Crawley geltend. Während Gemeinden vor dem Bau von permanenten Asylunterkünften konsultiert werden müssen, haben sie bei der Nutzung von Asyl-Hotels kein Mitspracherecht. Eine Sprecherin der Gemeindeverwaltung erklärt auf Anfrage, Crawley leide ohnehin unter einem akuten Mangel an Sozialwohnungen. „Wenn Hotel-Bewohner Asyl erhalten, ziehen sie aus und bitten oft die Gemeinde um Unterstützung“, sagt die Sprecherin. „Das verschärft die Wohnungsnot.“
Migration (Invasion) weiterhin ein ungelöstes Problem
Eine konzise Strategie zur Reduktion der Migration (Invasion) über den Ärmelkanal hat Starmer aber bisher nicht erkennen lassen. Allein am letzten Sonntag gelangten in elf Booten über 700 Migranten nach England. Viele Beobachter gehen davon aus, dass dieses Jahr die bisherige Rekordzahl von 45.000 Überfahrten von 2022 übertroffen werden könnte.
Dass die Notlösung nach dem Ende der Pandemie weitergeführt wurde, hat mehrere Gründe. Das Innenministerium hatte mit weniger Asylsuchenden gerechnet und daher nicht genügend Behausungen bereitgestellt, weshalb im letzten Jahr 400 Hotels als Asylunterkünfte genutzt wurden.
Zudem sind die Behörden bei der Behandlung von Asylgesuchen hoffnungslos im Verzug. Eine 2023 in Kraft getretene Gesetzesrevision besagt, dass über den Ärmelkanal gelangte Migranten in Großbritannien kein Recht auf ein Asylverfahren mehr haben und stattdessen nach Rwanda ausgeschafft werden sollen. Da dieser Rwanda-Plan nie umgesetzt werden konnte, steckten die betroffenen Personen in einer rechtlichen Grauzone fest – und verblieben oft in den Hotels.
Gemäß den letzten offiziellen Daten waren im März 2024 knapp 36.000 Asylsuchende in Hotels untergebracht. Im letzten Jahr schlugen die Kosten dafür mit 3,1 Milliarden Pfund zu Buche, was etwa 8 Millionen Pfund pro Tag entspricht. Damit verschlang die Unterbringung in Hotels rund zwei Drittel der gesamten staatlichen Ausgaben für die Betreuung von Asylsuchenden.
Historische Parallelen
Ähnliche Herausforderungen in der Unterbringung von Asylsuchenden gab es in der jüngeren britischen Geschichte bereits zuvor. In den 1990er Jahren führte eine Zunahme der Asylanträge aus Ländern wie Bosnien und Somalia zu einer Überlastung des bestehenden Systems. Auch damals mussten temporäre Unterkünfte gefunden werden, darunter leerstehende Kasernen und Notunterkünfte. Der Druck auf die sozialen Dienstleistungen und die öffentliche Meinung spiegelte sich ähnlich wie heute in teils negativen Reaktionen wider. Allerdings waren die Dimensionen und die gesellschaftliche Polarisierung damals weniger ausgeprägt. BBC
Flüchtlingskrise in den 1990er Jahren
Während der Balkankriege in den 1990er Jahren kamen viele Flüchtlinge aus der ehemaligen Jugoslawien nach Großbritannien. Die britische Regierung musste schnell reagieren und fand Zuflucht für diese Flüchtlinge in leerstehenden Militärbaracken und temporären Wohnanlagen. Die Situation von damals zeigt Parallelen zur heutigen Herausforderung, wo Hotels als temporäre Lösungen genutzt werden. Der Unterschied liegt hauptsächlich im Umfang und in der politischen Dimension der aktuellen Situation.
Hintergrundinformationen
Die Unterbringung von Asylsuchenden in Großbritannien ist seit Jahren ein viel diskutiertes Thema. Die jüngste Zunahme von über den Ärmelkanal kommenden Migranten hat die Kapazitäten des britischen Asylsystems überschritten. Laut einem Bericht des britischen Innenministeriums aus dem Jahr 2023 kamen allein in diesem Jahr über 45.000 Migranten über den Ärmelkanal, was einem Anstieg von fast 60% im Vergleich zu den Vorjahren entspricht. Diese Zunahme ist teilweise auf die instabile politische Lage in Herkunftsländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak zurückzuführen. The Guardian
Politische und Soziale Auswirkungen
Die Asylpolitik der britischen Regierung steht unter starkem Druck. Die umstrittene Rwanda-Politik, die ursprünglich 2022 eingeführt wurde, konnte aufgrund rechtlicher Bedenken und internationalen Drucks nicht vollständig umgesetzt werden. Dies führte zu einer überlasteten Asylstruktur, die nicht vorbereitet war, einen solch signifikanten Anstieg von Asylsuchenden zu bewältigen. Zudem gibt es anhaltende Diskussionen über die Integration von Asylsuchenden und welche Rolle die lokalen Gemeinden spielen sollten, um eine bessere Verteilung der Lasten zu erreichen. Independent
Expertenmeinungen
Dr. Sarah Spencer, eine Expertin für Migration (Invasion) und Integration am Zentrum für Migration (Invasion)spolitik der Universität Oxford, betont, dass „die langfristige Lösung nicht in der temporären Unterbringung von Asylsuchenden in Hotels liegt, sondern in der Schaffung nachhaltiger und integrativer Wohnkonzepte.“ Sie fügt hinzu, dass „die gegenwärtige Praxis soziale Spannungen verschärft und weder den Asylsuchenden noch den Anwohnern zugutekommt.“ Spencer fordert eine ganzheitliche Asylpolitik, die sowohl die Bedürfnisse der Migranten als auch der lokalen Gemeinschaften berücksichtigt. Universität Oxford
Statistiken und Daten
Die gelieferten Zahlen sind erschreckend eindeutig: Im Jahr 2023 stiegen die Gesamtkosten für die Unterbringung von Asylsuchenden in Hotels in Großbritannien auf über 3 Milliarden Pfund, wie aus den jüngsten Zahlen des Innenministeriums hervorgeht. Dies entspricht grob 8 Millionen Pfund pro Tag, die für die temporäre Unterbringung aufgewendet werden. Zudem zeigt eine Analyse der Medienagentur Reuters, dass die Abschlussquote von Asylverfahren in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist, was auf ineffiziente Verwaltungsprozesse und die steigende Zahl an Asylanträgen zurückzuführen ist. Reuters
– NAG