Die Eröffnung der neuen Theatersaison in Wien brachte einen Moment des nostalgischen Zaubers, der sich jedoch schnell als Illusion entpuppte. Die Premiere von Ferdinand Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ im Theater in der Josefstadt ließ bei einigen Zuschauern das Gefühl aufkommen, sie könnten sich in einem alten Kinderfilm der 70er Jahre befinden. Der Geisterschauer, den der Schwarz-Weiß-Vorspann erzeugte, und das musikalische Format mit Mini-Bühnenorchester erinnerten stark an eine Vergangenheitsnostalgie, die in der modernen Theaterlandschaft oft vermisst wird.
Die Inszenierung, unter der Regie von Josef E. Köpplinger, jäht die Zuschauenden gleich zu Beginn in die Geschichte des misstrauischen Gutsbesitzers Rappelkopf, der nicht nur seinen Bediensteten, sondern auch seiner Familie das Leben zur Hölle macht. Doch die Umsetzung blieb hinter den Erwartungen zurück. Es fehlte dem Stück an frischen Ideen und einem klaren zeitgenössischen Bezug, abgesehen von der Tatsache, dass der Kohlenbrenner Glühwurm nun in einem Wohnwagen lebt. Diese nuancierten Anspielungen konnten die inszenierte Erzählung jedoch nicht berühren und ließen die alten Themen ohne nötigen Kontext im Raum schweben.
Inszenierung und Darstellungen
Die Darstellungen von Michael Dangl in der Rolle des Rappelkopf und Günter Franzmeier als Alpenkönig vermochten es nicht, die emotionalen Tiefen der Charaktere auszuloten. Beide Protagonisten wirkten eher seelenlos und konnten die komplexen Botschaften der Geschichte nicht effektiv transportieren. Erst nach der Pause, als es für die Gattin Sophie und ihre Tochter Malchen ernster wurde, als die Konflikte ins Spiel kamen, wurde die Handlung konkreter – dennoch mit einem Schwung, der viele der Nebenrollen ihren kreativen Möglichkeiten beraubte.
Das „Duell“, in dem der Alpenkönig dem Menschenfeind zur Selbstkonfrontation verhilft, verlässt sich stark auf offensichtliche Gesten und weniger auf psychologische Nuancen. Somit bleibt der Zugang zur eigentlichen Tiefgründigkeit des Werkes, das vor mehr als 190 Jahren seine Uraufführung erlebte, schüchtern und ungenutzt. Die psychologischen Transformationen und die Herausarbeitung der menschlichen Erfahrung, die lange vor der Entwicklung der Psychoanalyse thematisiert wurden, fanden in dieser Aufführung nicht den nötigen Raum.
Reaktionen des Publikums
Das Premierenpublikum zeigte sich allerdings in einem überraschenden Einklang mit der nostalgischen Inszenierung. Allgemeine Kommentare wie „ganz nett“ und „eh okay“ sind jedoch ein Zeichen dafür, dass diese Produktion den Erwartungen an zeitgemäße Theaterkunst nicht gerecht wurde. Enthusiasmus und langersehnter Zauber schienen durch die Routine und die äußerst konservative Umsetzung ersetzt worden zu sein.
In einem kulturellen Umfeld, das Wert auf Weiterentwicklung und Innovation legt, bleibt die Frage, ob es sinnvoll ist, Werke nur aus Traditionsgründen auf die Bühne zu bringen. Auch wenn Raimund als wichtiger Teil der Wiener Theaterliteratur gilt, zeigt diese Aufführung, dass der Wert von Theater nicht nur in der Aufführung bestehender Werke liegt, sondern auch in der Fähigkeit, neue Perspektiven und Interpretationen zu bieten.
Die nächste Vorstellung von „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ am Theater in der Josefstadt wird zeigen, ob es dem Ensemble gelingt, das Publikum neu zu begeistern oder ob der Retro-Charme weiterhin gegen die Dynamik und Frische des Theaters kämpft.
Informationen zu Terminen und Tickets sind erhältlich unter www.josefstadt.org oder telefonisch unter 01 / 42700-300.