Ferdinand von Schirachs neues Gerichtsdrama „Sie sagt. Er sagt.“ wurde kürzlich in den Kammerspielen der Josefstadt in Wien uraufgeführt und beleuchtet auf eindrückliche Weise die Problematik sexueller Gewalt. Während die Thematik selbst von immenser Bedeutung ist, wird die Inszenierung sowohl als informativ als auch als wenig packend wahrgenommen.
Im Mittelpunkt des Stücks steht der Fall einer erfolgreichen Fernsehmoderatorin, die von ihrem ehemaligen Liebhaber, einem Vorstandsvorsitzenden eines globalen Konzerns, vergewaltigt wurde. Hierbei entfaltet sich ein schockierendes Bild über das, was Frauen im Alltagsleben erleiden müssen. Diese Problematik wird durch den aktuellen Fall der 72-jährigen Französin Gisèle P. verdeutlicht, die Opfer unglaublicher Grausamkeiten wurde.
Aufbereitung schwieriger Themen
In seiner Arbeit greift von Schirach auf erschreckende Statistiken zurück. Laut seinen Daten hat jede dritte Frau in der EU körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Zudem wird alarmierend viel Gewalt im privaten Bereich ausgeübt. Diese Informationen sind nicht nur essentiell, um die Schwere der Thematik zu begreifen, sondern reflektieren auch die tief verwurzelten patriarchalen Strukturen, die häufig Täter entlasten und Opfer stigmatisieren.
Der Autor, der zuvor für seine packenden Stücke bekannt war, wie das vielgerühmte „Terror“, in dem das Publikum zum Geschworenen berufen wurde, wählt hier einen anderen Ansatz. Anstatt unmittelbare Entscheidungen zu fällen, wird der Zuschauer mit einer Vielzahl an Fakten konfrontiert. Das Stück sitzt auf einem Fundament voller gesellschaftlicher Probleme, lässt aber das notwendige Drama vermissen.
Obwohl das Stück bereits als TV-Film im ZDF ausgestrahlt wurde, zeigt die Theaterfassung Schwächen in der Umsetzung. Die Dialoge wirken oft trocken und die Charaktere werden im Vergleich zur TV-Adaption als flach und wenig ausgeprägt wahrgenommen. Dies liegt teilweise an der räumlichen Anordnung der Darsteller. Sie sprechen häufig ohne direkten Blickkontakt zur Richterin, was die Spannung während der Verhöre mindert.
Die Inszenierung, unter der Regie von Sandra Cervik, kämpft zudem mit langen Passagen, die eher wie Hörspiel als wie Theater wirken. Der Raum, der die verschiedenen Charaktere zeigt – Richterin, Staatsanwalt, Verteidiger und die Beteiligten – wird nicht ausreichend genutzt, um echte Emotionen und Dynamiken zu erzeugen. Die Kostüme, die oft symbolhaft eingesetzt werden, tragen zwar zur Darstellung der Figuren bei, könnten jedoch noch mehr zur Identifikation des Publikums beitragen.
Ein Aufruf zur Reflexion
In einem zentralen Moment des Stücks wird die Bedeutung der Strafprozessordnung für den Rechtsstaat hervorgehoben. Die Richterin betont, dass über Schuld und Unschuld nicht in den sozialen Medien entschieden wird, was als dringlicher Appell zur Verantwortlichkeit aufzufassen ist. Dennoch bleibt die Frage, ob dieses Stück tatsächlich als Aufklärungsarbeit funktioniert. Von Schirach, bekannt für seine moralisch engagierten Werke, agiert hier als Mahner, wobei ihm das optimale dramatische Geschehen abgeht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Sie sagt. Er sagt.“ zwar wichtige Themen anspricht und auf Missstände hinweist, aber die transformative Kraft des Theaters, die Emotionen wecken und Zuschauer fesseln kann, nicht vollständig ausschöpft. Es bleiben Fragen offen, die auch nach der Vorstellung im Publikum nachhallen werden.