Die bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich werfen einen bedeutenden Schatten auf die Frage der Inklusivität in der Demokratie. Während die Wahlberechtigten immer noch nicht die Mehrheit der hier lebenden Menschen repräsentieren, gibt es Bestrebungen, das Wahlrecht zu erweitern und die Stimmen aller Einwohner zu hören.
Aktuell leben knapp 9.200.000 Menschen in Österreich, von denen nur etwa 6.400.000 wahlberechtigt sind. Dies zeigt ein verblüffendes Demokratie-Defizit, insbesondere in einer multikulturellen Stadt wie Wien, wo von über 2.000.000 Bürger:innen lediglich rund 1.300.000 die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen. Diese Diskrepanz führt dazu, dass eine erhebliche Anzahl von Menschen von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen ist, während sie dennoch in der Gesellschaft leben, arbeiten und deren Regeln befolgen müssen.
Die Pass-Egal-Initiative und ihr Ziel
Um auf dieses Missverhältnis aufmerksam zu machen, wird die Pass-Egal-Wahl initiiert, die allen Menschen, unabhängig von ihrem Passstatus, die Möglichkeit bietet, ihre Stimme abzugeben. Diese Veranstaltung wird nicht nur als ergänzende Wahl zu den offiziellen Wahlen betrachtet, sondern auch als Plattform, um den Dialog über Zugehörigkeit und Demokratie zu fördern.
Die Pass-Egal-Wahl ist eine Initiative des Vereins SOS Mitmensch, der sich für Menschenrechte und die Gleichstellung aller Wohnbevölkerungen in Österreich einsetzt. Diese Wahl könnte als Katalysator für zukünftige Reformen im Bereich des Wahlrechts dienen und einige schwerwiegende Fragen aufwerfen: Wer gehört zu einer Gesellschaft, und wer hat das Recht, die Richtung, in die sich diese Gesellschaft bewegt, mitzubestimmen?
Zu den Höhepunkten der Veranstaltung gehört eine Keynote von Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie wird die Themen Zugehörigkeit und Demokratie aus einer übergeordneten Perspektive beleuchten, was besondere Relevanz in einer Zeit hat, in der Identität und Zugehörigkeitsgefühl kritische Themen sind. Dies wird durch die Erörterung von Rainer Bauböck, einem Experten für Migrations- und Integrationsforschung, ergänzt, der die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht thematisiert.
Details zur Veranstaltung
Für alle, die an diesem wichtigen Austausch teilnehmen möchten, findet die Pass-Egal-Wahl am Freitag, den 06. September 2024, im Ankersaal (Kulturhaus Brotfabrik) in Wien statt. Die Veranstaltung beginnt um 16:00 Uhr und bietet neben der Wahlmöglichkeit auch eine Plattform für Diskussionen und Weiterbildungsangebote rund um das Thema Stillstand in der politischen Mitbestimmung.
Es wird erwartet, dass die Pass-Egal-Wahl einen starken Impuls gibt, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer umfassenderen Berücksichtigung aller Lebensrealitäten in den politischen Entscheidungen zu schärfen. Um eine Teilnahme zu gewährleisten, wird eine Anmeldung empfohlen.
Mit solcher Initiativen wird der Raum geschaffen, um die Stimmen derjenigen zu integrieren, die oft ignoriert oder übersehen werden. Martin Gratzer und das Team von mehr demokratie! wien laden deshalb alle interessierten Bürger:innen herzlich zu dieser bedeutenden Veranstaltung ein. Es gilt, den ersten Schritt in Richtung einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft zu wagen.
Die Pass-Egal-Wahl reflektiert ein wachsendes Bedürfnis nach Reformen im Wahlrecht, das die Diversität der in Österreich lebenden Menschen anerkennt und ihre Stimmen stärkt. Der Dialog, der hier angestoßen wird, könnte ein erstes Signal für politische Änderungen sein, die alle Bürger:innen einbeziehen und eine tiefere Verbindung zwischen den Menschen und der politischen Landschaft schaffen.
Demografische Entwicklungen in Österreich
Die demografische Struktur Österreichs hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Zuwanderung gestiegen, was sich stark auf die Zusammensetzung der Bevölkerung auswirkt. Laut den Ergebnissen der Volkszählung von 2021 hatten rund 1,8 Millionen Einwohner:innen einen Migrationshintergrund, was etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Diese Entwicklung hat zu einer zunehmenden Diversifizierung der gesellschaftlichen Gruppen geführt, jedoch ist das Wahlrecht weiterhin an die Staatsbürgerschaft gebunden.
Die Situation in Wien ist besonders auffällig. Die Stadt ist nicht nur ein Zentrum für Kultur und Bildung, sondern auch ein Magnet für Migrant:innen aus verschiedenen Ländern. Diese Menschen tragen zur Wirtschaft bei und bereichern das kulturelle Leben, sind jedoch von grundlegenden demokratischen Rechten, wie dem Wahlrecht, ausgeschlossen. Diese Diskrepanz zwischen der realen Bevölkerung und den wahlberechtigten Bürger:innen wirft Fragen über die Integration und die Teilhabe aller Menschen im politischen Prozess auf.
Wahlrecht und Staatsbürgerschaft
Das Verhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und Wahlrecht ist in vielen Ländern ein kontroverses Thema. In Österreich ist nur die Person mit österreichischer Staatsangehörigkeit wahlberechtigt, was bedeutet, dass Migrant:innen, die sich langfristig im Land aufhalten, ihre Stimme in politischen Angelegenheiten nicht abgeben können, obwohl sie möglicherweise tief in der Gemeinschaft verwurzelt sind. Laut einer Studie der „Austrian Academy of Sciences“ aus dem Jahr 2021 ist die Berücksichtigung der Stimmen dieser Menschen essenziell, um eine gerechte und inklusive Demokratie zu gewährleisten.
Die Diskussion um das Wahlrecht wird auch zunehmend von internationalen Vergleichen geprägt. In einigen europäischen Ländern, wie beispielsweise in Schweden, können langfristig ansässige Ausländer:innen an Kommunalwahlen teilnehmen, was als Schritt in Richtung einer integrativen Wahlpolitik angesehen wird. Die Debatte über die Erweiterung des Wahlrechts für Migrant:innen in Österreich steht somit im Kontext einer größeren europäischen Diskussion über Identität, Zugehörigkeit und die Rechte von Bürger:innen.
Auswirkungen der Pass-Egal-Wahl
Die Pass-Egal-Wahl stellt einen innovativen Ansatz dar, um das Demokratiedefizit zu adressieren. Sie ermöglicht es allen Menschen, die in Österreich leben, unabhängig von ihrem rechtlichen Status, ihre Stimme abzugeben. Solche Initiativen fördern nicht nur die Sichtbarkeit von Migrant:innen in der politischen Arena, sondern könnten auch einen Einfluss auf zukünftige rechtliche Veränderungen im Wahlrecht haben.
Nach Angaben von SOS Mitmensch wird erwartet, dass durch die Pass-Egal-Wahl ein Bewusstsein für das wichtige Thema der politischen Teilhabe geschaffen wird. Die Teilnahme an dieser Art von Wahl könnte als eine Art Testphase fungieren, die den politischen Entscheidungsträger:innen verdeutlicht, dass der Wunsch nach Inklusion und Teilhabe unter den Bewohner:innen stark ausgeprägt ist. Solche Initiativen könnten langfristig zu einem Umdenken in der politischen Landschaft Österreichs führen.