Die Diskussion um die Lebensmittel-Herkunftskennzeichnung nimmt in Österreich zunehmend Fahrt auf. Im Regierungsprogramm 2020-2024 hatten die ÖVP und die Grünen bereits angekündigt, eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Milch, Eier und Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung einzuführen. Seit September 2023 ist dieses Vorhaben in den öffentlich geführten Kantinen umgesetzt. Ein zentraler Punkt dieser Regelung ist, dass Konsumenten nun erkennen können, aus welchem Land die Wursthersteller ihr Fleisch beziehen. Doch bei verpackten Lebensmitteln gibt es noch keine Einigung, was die Debatte weiter anheizt.
In einem parallelen Thema betrifft das Verbot unstrukturierter Schweine-Vollspaltenböden sowohl Bauern als auch Tierschützer. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte im Januar entschieden, dass die ursprünglich bis 2040 geltende Übergangsfrist für diese Praktiken zu lang war und nicht gerechtfertigt erscheinen würde. Der Gesetzgeber hat nun bis Juni 2025 Zeit, eine neue Regelung zu finden. Während der Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen eine Frist bis 2030 fordert, hat die ÖVP eine zweistufige Frist vorschlagen, die bis 2040 geht. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig kritisierte den Plan der Grünen und betonte, dass die Frist für die Schweinebauern realisierbar sein müsse, andernfalls drohe ein signifikantes Importproblem für Schweinefleisch.
Handelspraktiken und ihre Herausforderungen
Totschnig äußerte sich auch zu den aktuellen Handelspraktiken in Österreich. Besonders die große Verhandlungsmacht der heimischen Lebensmittelhändler ist ihm ein Anliegen. In Österreich haben große Ketten wie Spar, Rewe, Hofer und Lidl gemeinsam einen Marktanteil von über 93 Prozent, was ihnen erhebliche Macht gegenüber den Lebensmittelproduzenten verleiht. Eine im Vorjahr veröffentlichte Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zeigt, dass vier von zehn befragten Lieferanten von sogenannten „schwarzen Klauseln“ betroffen sind. Diese besonders ungünstigen Vertragsklauseln umfassen einseitige Vertragsänderungen und Zahlungen ohne Bezug zu Lieferungen.
„Bei der hohen Konzentration im Lebensmittelhandel muss man ganz genau hinschauen“, warnte Totschnig. Um betroffenen Bauern zu helfen, ermunterte er sie, sich beim Fairness-Büro zu melden, das 2022 im Landwirtschaftsministerium eingerichtet wurde. Dieses Büro fungiert als unabhängige Ombudsstelle und soll sicherstellen, dass die Rechte der Landwirte gewahrt werden, insbesondere in der aktuellen turbulentem Handelslandschaft.
Der Weg nach vorne
Ein weiteres Thema auf der Agenda ist das geplante Erneuerbare-Gas-Gesetz. Totschnig erklärte, dass man den Forderungen der SPÖ nachgekommen sei, um deren Zustimmung im Zusammenhang mit der Zweidrittelmaterie zu erhalten. Die Verantwortung liege nun bei der SPÖ, zu zeigen, wie ernst sie es mit dem Klimaschutz meine.
Auf die Frage nach seiner Amtszeit als Landwirtschaftsminister äußerte Totschnig Zufriedenheit und stellte fest, dass in der aktuellen Regierung politisch viel erreicht wurde. Dennoch gibt es Schattenseiten, bei denen die Parteien weit auseinanderliegen. Insbesondere das EU-Renaturierungsgesetz sieht er als Problem, wo er die Grünen kritisierte, dass diese „ihr wahres Gesicht gezeigt“ hätten, indem sie in Brüssel entschieden haben, ohne klare Informationen für die betroffenen Personen zu liefern. Diese beanstandete Vorgehensweise, auch als „Katze im Sack“ bezeichnet, könnte negative Auswirkungen auf die betroffenen Landwirte haben, wogegen sich Totschnig nun einsetzen möchte.
Insgesamt zeigt sich, dass der Fortschritt in der Landwirtschaftspolitik auch von intensiven Verhandlungen und einer komplexen Beziehung zwischen den verschiedenen politischen Akteuren geprägt ist. Mit verschiedenen Themen auf der Agenda bleibt abzuwarten, wie sich die Situation entwickeln wird. Totschnig und die ÖVP stehen vor der Herausforderung, den Spagat zwischen den Interessen der Landwirte und den neuen gesetzlichen Vorgaben zu schaffen.
Hintergrundinformationen zur Lebensmittel-Herkunftskennzeichnung
Die Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln ist ein zentrales Thema in der europäischen Agrar- und Lebensmitteldiskussion. Sie wurde eingeführt, um Verbrauchern mehr Transparenz über die Qualität und Herkunft von Lebensmitteln zu bieten. Dies geschieht nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch zur Förderung lokaler Produzenten und zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb. Die EU hat hierzu bereits mehrere Richtlinien erlassen, die die Kennzeichnungspflicht für bestimmte Produkte, einschließlich der Herkunft von Fleisch, erweitern. Ein Beispiel dafür ist die EU-Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (EU-Verordnung Nr. 1169/2011), die zum Ziel hat, Verbraucher besser zu informieren und eine informierte Kaufentscheidung zu ermöglichen. Weitere Informationen zu den EU-Initiativen finden Sie auf der Webseite der Europäischen Union.
Statistiken zur Lebensmittelindustrie in Österreich
Die Lebensmittelindustrie in Österreich spielt eine entscheidende Rolle für die Wirtschaft des Landes. Laut einer Studie der AgrarMarkt Austria (AMA) aus dem Jahr 2022 erwirtschaftete die heimische Lebensmittelwirtschaft einen Umsatz von über 29 Milliarden Euro. Darüber hinaus gibt es in Österreich mehr als 6.000 Unternehmen in der Lebensmittelverarbeitung, die zusammen über 120.000 Arbeitsplätze bieten. Die Kennzeichnung von Lebensmitteln wird zunehmend als wichtig erachtet; eine Umfrage ergab, dass 78 % der Befragten Wert auf Herkunftsangaben legen. Diese Statistiken verdeutlichen den Druck auf die Politik, klare und transparente Regelungen hinsichtlich der Lebensmittelkennzeichnung und -qualität zu etablieren. Detailliertere Statistiken zur Lebensmittelindustrie finden Sie auf der Webseite der AgrarMarkt Austria.
Vergleich mit historischen Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit
Historisch gesehen gab es bereits mehrere Initiativen zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und Transparenz in der Lebensmittelindustrie. Eine der bedeutendsten war die Einführung der Lebensmittelkennzeichnungsrichtlinie in den 1990er Jahren, die in vielen EU-Ländern gesetzliche Anforderungen an die Produktkennzeichnung festlegte. Ähnlich wie die aktuelle Diskussion um die Herkunftskennzeichnung zielt diese Maßnahme darauf ab, das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von Lebensmitteln zu stärken und unlautere Praktiken zu verhindern.
Ein weiterer bedeutender Schritt in die gleiche Richtung war die Einführung strengerer Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit nach den Lebensmittelskandalen Anfang der 2000er Jahre, wie dem BSE-Skandal. Diese historischen Vorfälle führten zu einer verstärkten Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Herkunft und Qualität von Nahrungsmitteln, was letzten Endes auch die politischen Entscheidungen zur Einführung heutiger Kennzeichnungsvorgaben beeinflusste.
Im Vergleich zu heute war die Diskussion über Herkunftskennzeichnungen in der Vergangenheit weniger differenziert und betraf meist Sicherheitsstandards, während derzeit auch soziale und ökologische Gesichtspunkte eine zentrale Rolle spielen.