Die Auseinandersetzung mit dem Altern der Eltern ist ein Thema, das wohl jede Generation betrifft. Die Fragen nach Verantwortung und dem Umgang mit Demenz sind nicht neu, aber sie erhalten durch die persönlichen Erfahrungen von Autoren wie Volker Kitz eine neue Dimension. Kitz hat in seinem neuesten literarischen Essay „Alte Eltern. Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“ seine sehr persönlichen Erlebnisse mit seinem dementen Vater festgehalten. Dies geschieht nicht im Nachhinein, sondern während er selbst in diesem emotionalen Prozess steckt, was auch einen ganz besonderen Zugang zu dem Thema ermöglicht.
Kitz‘ Arbeitsweise ist interessant. Er hat die Entscheidung getroffen, seine Gedanken und Gefühle direkt im Moment des Geschehens zu dokumentieren, um den Prozess des Verstehens und Verarbeitens zu gestalten. „Das Schreiben war eine Beziehungsarbeit unter Lebenden“, erklärt Kitz, während er reflektiert, wie wertvoll es für ihn und seinen Vater war, diese Gedanken miteinander zu teilen, anstatt die Erinnerungen erst nach dem Tod aufzuarbeiten. Der Autor beschreibt seine Erfahrung und die damit verbundenen Emotionen als Werkzeug, sowohl für ihn als auch für seinen Vater, um in der schwierigen Zeit des Abschieds einen klaren Blick zu behalten.
Ein persönlicher Blick auf Demenz
In einem Interview mit Martina Kothe, das nun bei NDR Kultur ausgestrahlt wurde, teilt Kitz einen sehr persönlichen Moment seiner Kindheit. Er reflektiert, wie die Diskussion über Demenz in der Gesellschaft längst nicht so präsent war wie heute. „Ich konnte mich nicht erinnerten, dass das Wort früher eine große Rolle gespielt hat“, sagt Kitz und er erkennt, dass die Geschichten über Verwandte in Mehrgenerationenhäusern oft als selbstverständlich betrachtet wurden. Heute bringt ihn das Thema in eine Realität, die neben seiner früheren Existenz mit all ihren Freiheiten verankert ist. Sein Umzug nach Berlin trennt ihn geografisch von seinem Vater, was die Herausforderung des familiären Umgangs mit alternden Eltern zusätzlich verstärkt.
Es wird klar, dass Kitz’ Buch nicht als Ratgeber verstanden werden soll, sondern als eine Erzählung über seine eigenen Gedanken und Erlebnisse. Leser können sich in den dargestellten Emotionen wiedererkennen; die Erkenntnis, dass viele ähnliche Erfahrungen machen, kann trostspendend sein. Die Isolation, die oft mit der Betreuung von älteren, demenzkranken Eltern einhergeht, wird durch seine Worte greifbar, und es stellt sich die Frage, wie sich moderne Gesellschaften mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen können.
Herausforderung der modernen Lebensrealität
Das 21. Jahrhundert stellt uns vor neue Fragen im Umgang mit den Älteren. Kitz beschreibt eine veränderte Lebensumstände und wie das Aufwachsen in einem Dorf mit vielen Generationen um ihn herum eine andere Form des Zusammenlebens war, die heutige Familienstrukturen oft nicht mehr ermöglichen. Das Bild von Kindern, die für ihre Eltern sorgen, ist nicht mehr so etabliert wie in der Vergangenheit. „Wer kümmert sich um mich?“, fragt Kitz provokant. Diese grundlegende Frage steht im Raum und fordert eine grundsätzliche Neubewertung der familiären Verantwortungen in der heutigen Zeit.
Sein Blick auf die Herausforderungen, die Demenz mit sich bringt, ist geprägt von Empathie und einer tiefen Einsicht in die vielschichtigen Beziehungen innerhalb der Familie. Ein Gefühl der Einsamkeit wird spürbar, wenn man erkennt, dass viele Menschen ähnliche Kämpfe führen und doch oft isoliert in ihrer Situation verharren. Der Austausch über diese Themen kann helfen, dem Gefühl der Einsamkeit entgegenzuwirken und einen gemeinsamen Raum für Verständigung und Verständnis zu schaffen.
Der Wert des Teilens
Insgesamt zeigt Kitz, dass das Teilen von Erfahrungen über das Altern und den Umgang mit demenzerkrankten Eltern nicht nur cathartisch, sondern auch notwendig ist. In seinem Buch verstärkt er den Gedanken, dass der Austausch über Schicksale und Herausforderungen zu einem größeren Verständnis und zu einem Gefühl der Gemeinschaft führen kann. Dieser Diskurs hat das Potenzial, eine neue Haltung gegenüber dem Pflegeprozess und den zwischenmenschlichen Beziehungen in schwierigen Zeiten zu entwickeln.
Demenz und die Herausforderungen der Pflege
Die steigende Zahl von Demenzdiagnosen ist in Deutschland ein gesellschaftliches Problem, das nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Angehörige vor große Herausforderungen stellt. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenz, und diese Zahl wird bis 2050 voraussichtlich auf über 2,8 Millionen ansteigen. Diese Zunahme ist zum Teil auf die alternde Gesellschaft zurückzuführen, in der die Lebenserwartung stetig steigt. In diesem Kontext müssen viele Angehörige lernen, mit der fortschreitenden Erkrankung umzugehen und gleichzeitig die eigene Lebensqualität zu bewahren.
Die Pflege von demenzkranken Angehörigen erfordert nicht nur physische, sondern auch immense emotionale Kraft. Die Angehörigen befinden sich oft in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorgepflicht und dem eigenen Bedürfnis nach Abstand und Selbstschützung. Studien zeigen, dass pflegende Angehörige häufig unter einem hohen Stresslevel leiden, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Laut einer Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2020 gaben rund 75 % der Befragten an, dass sie sich von der Pflege ihrer Angehörigen überfordert fühlten. Dabei ist es wichtig, dass Betroffene und Unterstützer kommunikative und emotionale Unterstützung erfahren.
Gesellschaftliche Veränderungen und Trendentwicklungen
Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt, was die Strukturen des Zusammenlebens betrifft. Früher lebten viele Generationen unter einem Dach und es war üblich, dass Familienmitglieder sich gegenseitig unterstützten. Heute leben viele Senioren allein, und es findet weniger Interaktion zwischen den Generationen statt. Laut dem Statistischen Bundesamt sind im Jahr 2021 in Deutschland etwa 30 % der über 65-Jährigen alleinlebend. Diese Entwicklung hat zur Entstehung neuer Wohn- und Betreuungsformen geführt, wie zum Beispiel Senioren-WG oder betreutes Wohnen, um den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen die Art und Weise, wie Menschen über Altwerden und Pflege denken. Themen wie Demenz und Altersvorsorge werden zunehmend diskutiert, und auch Vorschläge zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen gewinnen an Bedeutung. Initiativen wie die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ fordern mehr Teilhabe und Beteiligung älterer Menschen an der Gesellschaft, um ihre Würde und Selbstständigkeit zu wahren. Es ist entscheidend, dass solche Themen in der politischen Diskussion Gehör finden, um zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.
Aktuelle Statistiken zur Demenz
Die Relevanz des Themas wird auch durch verschiedene aktuell durchgeführte Studien unterstrichen. Laut einer Erhebung der Deutsche Alzheimer Gesellschaft früher im Jahr 2023 gaben 70 % der Befragten an, wenig oder keine Kenntnisse über Demenz zu besitzen, wobei insbesondere das Verständnis über die verschiedenen Formen und die Symptome der Krankheit oft unzureichend ist. Darüber hinaus berichteten 60 % der Befragten, dass sie sich mehr Aufklärung über den Umgang mit demenziell erkrankten Menschen wünschen.
Daten der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass Kosten im Gesundheitssystem aufgrund von Demenz allein in Deutschland 2019 ca. 34 Milliarden Euro betrugen, ein Betrag, der ständig steigt, wenn keine effektiven Strategien zur Prävention und Unterstützung entwickelt werden. Der Ruf nach strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem wird daher immer lauter, um eine adäquate Versorgung für betroffene Personen und ihre Familien zu gewährleisten.