Die Bildungslandschaft in Österreich zeigt sich als ein komplexes Gefüge, in dem die Herkunft der Studierenden eine entscheidende Rolle spielt. Insbesondere die Bildungswissenschaftlerin Franziska Lessky beleuchtet in ihrer Forschung die Lebenswege von „First in Family“-Studierenden, also jenen, deren Eltern keinen Akademikerabschluss besitzen. Dies ist ein zentrales Thema, das nicht nur den Zugang zur Hochschule betrifft, sondern auch die potenziellen Chancen und Herausforderungen, denen diese Studierenden gegenüberstehen.
Rund zwei Drittel der Studierenden an österreichischen Universitäten sind sogenannte „First Generation“-Studierende, was einen signifikanten Anteil ausmacht. Doch auf den ersten Blick scheint diese Zahl ermutigend zu sein. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass Kinder von Akademikern nach wie vor eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit haben, ein Studium aufzunehmen. Lessky nutzt das Konzept der „First in Family“-Studierenden für ihre Forschung, zusammen mit der qualitativen Analyse ihrer Erfahrungen. Ihrer Ansicht nach ist der Begriff „First in Family“ wertvoller, weil er eine breitere Perspektive auf die familiären Hintergründe und die damit verbundenen Herausforderungen bietet.
Bildung beginnt zu Hause
Die Weichen für den Bildungsweg werden oft schon in der frühkindlichen Phase gelegt. Lessky erläutert, dass die Entscheidung für Schulen, wie etwa eine AHS-Unterstufe oder eine Mittelschule, dabei stark von der akademischen Bildung der Eltern abhängt. Kinder von Akademikern haben häufig Zugang zu Bildungsressourcen und Netzwerken, die den Studienstart erleichtern. In ihrer Doktorarbeit hat sie untersucht, wie sich diese familiären Hintergründe auf die Entscheidungen junger Menschen auswirken, die als Erste ihrer Familie ein Hochschulstudium beginnen.
Ein zentrales Ergebnis ihrer Interviews mit „First in Family“-Studierenden ist die gelebte Erfahrung innerhalb der Familie. Während einige Studierende von Eltern kommen, die selbst gerne studiert hätten, gibt es auch Fälle, in denen die Eltern den Hochschulweg der Kinder ablehnen. Diese unterschiedliche Haltung hat großen Einfluss auf die Studienentscheidung, da viele Studierende gerade einen anderen Weg einschlagen wollen als ihre Eltern. Diese dynamische Beziehung zwischen den Generationen zeigt sich in den Interviews, die Lessky geführt hat.
Die „First in Family“-Studierenden sind zudem häufig älter, haben oft während des Studiums einen Job und tragen zusätzliche Verpflichtungen, die die Vereinbarkeit von Studium und Privatleben erschweren. Doch diese Erfahrungen tragen nicht nur zur Bereicherung der Universitäten bei, sondern sie bringen auch Fähigkeiten mit, die in der akademischen Welt von Nutzen sind, wie etwa Selbstorganisation und Krisenmanagement. Lessky hebt hervor, dass Universitäten diese unterschiedlichen Erfahrungen anerkennen und in ihre Angebote integrieren sollten.
Herausforderungen im Bildungssystem
Um den Zugang zum Hochschulsystem für „First in Family“-Studierende zu verbessern, müssen sowohl strukturelle als auch individuelle Ansätze verfolgt werden. Lessky betont, dass Investitionen in das Bildungssystem unverzichtbar sind, beginnend bereits im Elementarbereich. Hochwertige Betreuungseinrichtungen und adäquate Unterstützung an Schulen sind entscheidend, damit Bildung nicht vom finanziellen Hintergrund der Eltern abhängt. Die Struktur des Bildungssystems muss so gestaltet werden, dass alle Studierenden die gleichen Möglichkeiten haben, unabhängig von ihrer familiären Herkunft.
Zusätzlich ist es wichtig, dass Universitäten den Zugang zu relevanten Informationen und sozialen Netzwerken fördern, die oft für Akademikerfamilien selbstverständlich sind, jedoch für „First in Family“-Studierende eine große Hürde darstellen können. Lessky arbeitet zurzeit im Projekt „Diversität bewegt die Universität“, in dem sie zusammen mit anderen Forscher*innen und Studierenden konkrete Maßnahmen zur Unterstützung dieser Zielgruppe in Innsbruck ergründen möchte.
Ein neues Verständnis von Bildungschancen
Franziska Lessky setzt sich dafür ein, die Diskussion über „First in Family“-Studierende nicht aus einer defizitorientierten Perspektive zu führen. Sie glaubt daran, dass die individuellen Lebensläufe und Erfahrungen dieser Studierenden auch als Bereicherung für die Hochschullandschaft gesehen werden sollten. Die Vielfalt an Perspektiven und Kompetenzen, die sie in die akademische Welt einbringen, kann für alle Beteiligten von großem Wert sein. Ihre Forschung zielt darauf ab, diese Talente zu erkennen und Möglichkeiten zu schaffen, wie Hochschulbildung für alle zugänglicher und erfolgreicher gestaltet werden kann.
Soziale Dimensionen in der Bildung
Die soziale Herkunft spielt eine entscheidende Rolle im Bildungssystem Österreichs. Untersuchungen zeigen, dass der Bildungsweg stark von der sozialen Herkunft abhängt, was zur Ungleichheit im Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen führt. Eine Studie des Instituts für Bildungsforschung in der Universität Wien hebt hervor, dass Kinder aus unteren Einkommensschichten seltener das Gymnasium besuchen und damit geringere Chancen auf einen Studienplatz haben. Diese Diskrepanz entsteht nicht nur aufgrund finanzieller Mittel, sondern auch durch den Mangel an Informationen und unterstützenden Netzwerken, die vielen Familien mit akademischen Hintergründen zur Verfügung stehen. Für „First in Family“-Studierende ist der Zugang zu solchen Netzwerken oft eingeschränkt, was ihre Studienentscheidungen und -erfolge nachhaltig beeinflusst.
Die Beeinflussung der sozialen Herkunft ist in vielen europäischen Ländern ähnlich, jedoch variieren die spezifischen Ausprägungen. In Ländern wie Deutschland gibt es gezielte Programme, die sich der Förderung von Studierenden aus benachteiligten Hintergründen widmen. Solche Programme könnten auch in Österreich verstärkt implementiert werden, um die Chancengleichheit zu fördern und Bildungsbarrieren abzubauen.
Statistische Analysen zur Hochschulbildung
Aktuelle Daten der Statistik Austria zeigen, dass rund 45% der Österreichischen Hochschulabsolvent:innen aus Familien mit akademischem Hintergrund stammen. Dies verdeutlicht das Ungleichgewicht im Zugang zu Hochqualifizierung. Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern offenbart, dass Österreich im internationalen Vergleich bei der sozialen Mobilität im Bildungswesen hinterherhinkt. Laut einem Bericht von Eurostat ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einem Nicht-Akademikerhaushalt erfolgreich einen Studienabschluss erlangt, in Österreich signifikant niedriger als in Ländern wie Schweden oder Finnland. Solche Statistiken unterstreichen die Notwendigkeit struktureller Reformen im Bildungssystem.
Im Hinblick auf „First in Family“-Studierende lässt sich feststellen, dass etwa 70% dieser Gruppe in der Erstausbildung eine höhere Motivation aufweisen, aber auch mit größeren sozialen und finanziellen Herausforderungen konfrontiert sind. Studien belegen, dass die Unterstützung durch Mentoren und Peer-Programme entscheidend zur Steigerung der Studienerfolgsquote beitragen kann, da sie dazu beiträgt, soziale Isolation zu überwinden und relevante Informationen bereitzustellen.
Politische Initiativen zur Bekämpfung von Bildungsungleichheiten
Auf politischer Ebene gibt es mehrere Initiativen zur Bekämpfung von Bildungsungleichheiten. Die österreichische Bundesregierung hat Programme wie „Zukunftsorientierte Berufsausbildung“ (ZBA) ins Leben gerufen, die darauf abzielen, die Berufsbildung zu stärken und insbesondere auch Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen zu unterstützen. Diese Programme sind darauf ausgelegt, frühzeitig in die Bildungslaufbahn der Jugendlichen einzugreifen, um die Chancen auf eine erfolgreiche akademische oder berufliche Laufbahn zu erhöhen.
Zusätzlich gibt es Bestrebungen, die Schulsozialarbeit auszubauen und Familien wirklichkeitsnahe Informationen und Ressourcen bereitzustellen, die helfen, informierte Bildungsentscheidungen zu treffen. Solche Maßnahmen können dazu beitragen, das Bewusstsein für die Bedeutung der Hochschulbildung in einkommensschwächeren Familien zu erhöhen und somit langfristig die Bildungsgerechtigkeit in Österreich zu fördern.