Die lebendige Atmosphäre von Wiens Innenstadt wird oft von unzähligen Autos und Verkehrsstaus geprägt, ein Bild, das heute nicht mehr wegzudenken ist. In den 50er- und 60er-Jahren war die Lage jedoch noch um einiges dramatischer. Mit der täglichen Durchfahrt von 120.000 Fahrzeugen über die Kärntner Straße bis hin zur Augustinerstraße war es nicht nur für Fußgängerinnen und Fußgänger eine Quelle ständiger Unannehmlichkeit, sondern drohte auch das Stadtbild zu verändern. Hermann Knoflacher, damals ein junger Verkehrsplaner, war bereit, gegen diesen Trend anzutreten, als die Stadt Wien im Jahr 1969 auf ihn zukam.
Der Beginn eines umstrittenen Projektes
Die Ideen von Knoflacher, die Innenstadt autofreier zu gestalten, ernteten zunächst heftigen Widerspruch. Eine heikle Frage dominierte die Diskussionen: „Wo sollen die Autos denn sonst fahren?“, forderten beunruhigte Fahrzeuglenker. Auch die Kaufleute waren alarmiert: „Wer soll noch bei uns einkaufen?“, sahen sie ihre Geschäfte in Gefahr. Trotz dieser Widerstände setzte Knoflacher seine Pläne fort und arbeitete zusammen mit Architekt Viktor Ruen an ersten Konzepten.
Technologische Hindernisse und der kreative Ansatz
Die Herausforderungen waren nicht nur politischer Natur. Technologischer Fortschritt war für den Verkehrsplaner von Nöten. Damals gab es noch keinen Rechner in Österreich, mit dem er seine Modelle entwickeln konnte. So bestellte er ein Modell von Siemens, das er nachts im Rechenzentrum in München bedienen konnte. Ein Jahr lang tüftelte er und präsentierte schließlich seine Pläne im Rathaus. Der Widerstand war fest und laut, sogar von Universitätsprofessoren wurde heftig protestiert. Knoflacher blieb jedoch überzeugt von seinen Argumenten. Er wusste, dass mehr Raum für Fußgängerinnen und Fußgänger auch mehr Umsatz für die Geschäfte bringen würde.
Kreative Lösungen zur Überwindung des Widerstands
Als der Widerstand gegen seine Konzepte immer stärker wurde, erwogen die Stadtverantwortlichen kreative Methoden, um die Bevölkerung umzustimmen. Ein Weihnachtskorso im Jahr 1971 sollte mit Installationen zur Förderung des Fußgänger Verkehrs ein Umdenken bewirken. Der 6. August 1974 markierte dann den Meilenstein: die Eröffnung der ersten Fußgängerzone Wiens in der Kärntner Straße, die sich heute als eine der umsatzstärksten Gegenden etabliert hat.
Die Sichtweise von Hermann Knoflacher
Das Engagement von Knoflacher ist nicht nachgelassen. Der emeritierte Professor der Technischen Universität Wien sieht auch über 30 Jahre später noch erhebliche Stagnation in der Entwicklung autofreier Städte in Österreich. Trotz seiner optimistischen Vorstellungen in den 1980er-Jahren fühlt er sich jetzt frustriert darüber, dass eine autofreie Innenstadt immer noch nicht Realität ist
Widerstand gegen Veränderungen
„Kaufleute fürchten eine Veränderung, weil ihnen der Autoverkehr viel Kaufkraft absaugt“, erklärt Knoflacher. Ein berechtigtes Anliegen, doch es sei wichtig, die Stadt attraktiv zu gestalten, um den Einzelhandel zu stärken. Seine Vision ist ein umfassender Umstieg auf den öffentlichen Verkehr und das Fahrrad. „Ich besitze seit 25 Jahren kein Auto mehr“, sagt er, während er auf die Vorteile eines verbesserten öffentlichen Nahverkehrs hinweist. Die aktuellen Anordnungen bezüglich Stellplätzen, die bei Neubauprojekten vorgeschrieben sind, sieht er als Hemmnis für die Rückgewinnung der Innenstadt für die Bevölkerung.
Transformation der Wiener Innenstadt
Die Entwicklungen in Wien sind symptomatisch für einen breiteren Trend: den anhaltenden Kampf um den Raum in städtischen Gebieten zwischen Automobilen und Fußgängern. Knoflacher hat unermüdlich dafür plädiert, den öffentlichen Raum neu zu denken und den Fokus auf menschliche Mobilität zu lenken. Dies ist besonders wichtig, um den Herausforderungen des Stadtlebens in einer sich schnell verändernden Welt gerecht zu werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die visuelle und funktionale Transformation der Wiener Innenstadt weiter entfalten wird.
Der anhaltende Einfluss von Fußgängerzonen
Die Erfolgsgeschichte der ersten Fußgängerzone Wiens in der Kärntner Straße ist auch eine Geschichte des Wandels. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten hat sich die Region zu einem der attraktivsten Orte für Touristen und Einheimische entwickelt. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Mittelpunkt städtischer Planungen zu stellen. Neues Denken und kreative Lösungsansätze sind der Schlüssel zur Gestaltung lebendiger und einladender Stadtzentren, wo Fußgänger nicht nur geduldet, sondern aktiv gefördert werden.