Der Umzug von Sven-Eric Bechtolf von Wien nach Leipzig vor einigen Jahren hat die kulturelle Landschaft nicht nur in der österreichischen Hauptstadt, sondern auch in der sachsen-anhaltinischen Metropole beeinflusst. Bechtolf, ein erfahrener Schauspieler und Regisseur, hat seine Gründe, warum er den Schritt gewagt hat: „Ich habe noch einmal, spät im Leben, einen Jungen bekommen. Und seine einzige Großmutter lebt in Leipzig. Wir haben uns gesagt: Eine Großmutter ist nicht mit Gold aufzuwiegen.“ Der Bezug zur Familie spielt eine wesentliche Rolle in Bechtolfs Entscheidung, was in der heutigen Gesellschaft als wertvolle Priorität erscheint, da familiäre Bindungen oft einen wichtigen Rückhalt bieten.
Die künstlerische Flexibilität
Sein Engagement in verschiedenen Städten ist ein Hinweis darauf, dass Bechtolf seine künstlerische Existenz nicht an einen festen Ort binden möchte. In diesem Jahr hat er am St. Pauli Theater in Hamburg in Samuel Becketts „Endspiel“ mitgewirkt und war ebenfalls als Bassa Selim in der „Entführung aus dem Serail“ an der Scala aktiv. Bechtolf erklärt: „Ich mache eine Menge, aber nicht mehr in einem festen Engagement.” Diese Aussage verdeutlicht die Herausforderung, die Künstler oft erleben, wenn sie auf der Suche nach neuen Möglichkeiten in einer sich schnell verändernden Branche sind.
Ein Projekt mit Tiefgang
Aktuell steht Bechtolf für ein Projekt in Gmunden auf der Bühne, das von Karin Bergmann initiiert wurde. „Ich habe Karin gebeten“, berichtet Bechtolf über die Anfänge der Zusammenarbeit. Der Wunsch, in Gmunden zu arbeiten, ist stark motiviert durch seine Überzeugung, dass die szenische Lesung von Thomas Bernhards „Der Schein trügt“ eine Möglichkeit bot, sich wieder künstlerisch zu entfalten. Über die Erzählungen von Franz Kafka, die er für diese Aufführung vorgeschlagen hat, sagt er: „Ich wollte das unbedingt machen. Schon seit den späten 1980ern.” Diese Beharrlichkeit zeigt, wie bedeutend Kafka für viele Künstler und Intellektuelle ist, als Inspirationsquelle und als kritisches Material.
Kafkas Einfluss und die Themen der Menschlichkeit
Bechtolf hat die Texte Kafkas eingehend analysiert und erkannt, dass die Themen von Isolation, Identität und menschlichem Verhalten zeitlose Fragen aufwerfen. In „Der Bau“ beschreibt Kafka einen Dachs, der in seiner kunstvoll angelegten Behausung eingeschlossen ist. Bechtolf führt aus: „Es ist seine Lunge, die so bedrohlich pfeift und überall zu hören ist.“ Diese Metapher kann als eine tiefgehende Reflexion über die innere Zerrissenheit und den drohenden Tod interpretiert werden. Der Selbsterkenntnisprozess, den Bechtolf in seinem Spiel anstrebt, spiegelt eine zunehmende Sehnsucht nach Sinn und Verbindung wider.
Der kreative Ausdruck
Ein weiteres faszinierendes Element ist die Kombination von Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ mit „Der Bau“. Bechtolf erläutert, dass die Geschichten eine Gegenüberstellung von Assimilation und Isolation darstellen. „In der einen Erzählung geht es um einen Affen, der sich assimiliert, in der anderen um einen Menschen, der die Gesellschaft nicht begreifen kann“, erklärt er. Diese psychologischen Dimensionen laden das Publikum ein, über ihre eigenen menschlichen Beziehungen nachzudenken.
Lebensrealität in Leipzig
Bechtolfs Umzug nach Leipzig wird nicht ohne Herausforderungen betrachtet. Auch wenn er das Leben in der Stadt als herausfordernd empfindet, äußert er, dass er sich nicht öffentlich zu politischen Anliegen äußern möchte. Besonders berührt ihn die Tatsache, dass seine neue Heimat von politischen Spannungen geprägt ist. „Es ist zum Haareraufen!“, bekennt er, während er über die politische Landschaft in Leipzig spricht. Diese Reflexion über die politische Lage wirft einen Schatten auf seine künstlerische Freiheit und schärft das Bewusstsein für die Verantwortung von Künstlern in der Gesellschaft.
Ein Blick in die Zukunft
Bechtolf bleibt optimistisch und freut sich auf neue Herausforderungen. Sein aktuelles Projekt beinhaltet, seine künstlerische Reise fortzusetzen und mit verschiedenen Formaten zu experimentieren, wie er es mit den Kafka-Stücken plant. „Mir geht es nicht darum, irgendwelche Trophäen zu gewinnen“, erklärt er. Diese Aussage beleuchtet die Ambitionen eines Künstlers, who den Wert von Kreativität und den Prozess des Schaffens über materielle Erfolge stellt. Der Fokus liegt auf der Ergründung der Literatur und der Weiterentwicklung als Künstler, während er auch in seinem persönlichen Leben Wege findet, sein neues Zuhause sinnvoll zu gestalten.