Verena Dolovais Roman „Dorf ohne Franz“ gibt einen schonungslosen Einblick in das Leben eines Mädchens in den 1960er Jahren in Österreich. Die Geschichte, die María gewidmet ist, beleuchtet die Herausforderungen und demütigenden Momente, mit denen Frauen in einer patriarchalen Welt konfrontiert sind. Dolovai, die 1975 in Gmunden geboren wurde und Jura sowie Übersetzungswissenschaften studierte, hat sich in den letzten Jahren einen Namen als Autorin von Lyrik und kürzerer Prosa gemacht. Ihr Debütroman, der im Septime Verlag veröffentlicht wurde, nimmt den Leser mit auf eine Reise durch eine Zeit, die für viele nostalgisch romantisiert ist.
Die Protagonistin, María, wächst als mittleres Kind mit zwei Brüdern auf einem Bauernhof auf. Sie stellt eine Art unsichtbare Verbindung zwischen den Geschlechtern dar, die in ihrem Umfeld oft vernachlässigt wird. In ihrer Familie ist sie für den Vater uninteressant, und ihre unglückliche Mutter hat für ihre Tochter kaum Platz in ihrem Herzen, da alle Liebe auf das jüngste Kind, den Franz, konzentriert ist. Hier wird deutlich, dass das soziale Gefüge im Dorf von der traditionellen Rollenverteilung geprägt ist, die Frauen in die Schatten ihrer Familien drängt.
Die Ungleichheiten der Geschlechter
Die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, die sich durch Marías Erfahrungen ziehen, sind sowohl schmerzhaft als auch erhellend. Wenn María eines Tages von ihrem Vater das Erbe an ihre Brüder überlassen wird, geschieht dies ohne jegliche Diskussion. Der Satz „Pass doch auf, du dumme Kuh“ umgibt María und zeigt die subtilen, aber konstanten Demütigungen, die sie erleidet. Trotz ihrer Stärke bleibt sie in ihrer Rolle gefangen, selbst wenn ihre Wünsche und Träume alles andere als unerreichbar scheinen.
Als die Altersgenossen beginnen, sich füreinander zu interessieren, versucht auch María, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Sie heiratet einen Mann, den sie für eine „passable Partie“ hält, obwohl er sich als Trunkenbold entpuppt. Dieses Arrangement zeigt, wie tief die Wurzeln der gesellschaftlichen Erwartungen in der Gemeinschaft verankert sind. Männer, die trinken, sind überall, und María ist dazu verdammt, immer wieder in diese Muster zurückzufallen, selbst wenn sie innerlich kämpft, sich von ihnen zu lösen.
Die Autorin besitzt ein bemerkenswertes Gespür für die schmerzhaften und oft unmerklichen Demütigungen, die das weibliche Leben prägen. María sehnt sich nicht nach großen Träumen, sondern möchte einfach nur die Köchin im Gasthof ihres Schwagers sein, statt bloß Küchenhilfe. Ihre Tochter bringt jedoch eine Wendung in ihr Leben. Der Wunsch, dass es der Tochter besser geht als ihr, offenbart tiefere Gefühle der Unzufriedenheit und das dringende Bedürfnis nach Veränderung.
Mit der Zeit entwickelt sich das soziale Umfeld. Eine Kindheitsfreundin von María, die das Gymnasium besucht hat, kehrt zurück und bringt frischen Wind ins Dorf. Die Differenz zwischen den Lebenswegen wird für María schmerzlich offensichtlich: „Mir würde es nie gelingen, die Stadt zu erreichen“, denkt sie und erkennt, dass der Fluchtweg aus dem engen Dorf nicht nur eine physische Reise, sondern auch eine emotionale und geistige ist.
Und was ist mit Franz? Sein Lebensweg wird erst spät in der Erzählung erklärt, als María begreift, dass er homosexuell ist und dass sein Verlangen, das Dorf zu verlassen, tiefgreifende Gründe hat. Die Tatsache, dass der Titel des Romans „Dorf ohne Franz“ lautet, symbolisiert nicht nur seine Abwesenheit, sondern auch die verlorenen Möglichkeiten und die vielschichtigen Facetten des Lebens in einer kleinen, konservativen Gemeinschaft. Frustriert und im Stillen leidend erkennt María, dass man nicht nur physisch, sondern auch aus seinen traditionellen Fesseln ausbrechen muss, um das Leben zu führen, das man möchte.
Verena Dolovais „Dorf ohne Franz“ ist ein eindringlicher und wichtiger Roman, der das Leben von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft unverblümt darstellt. Mit einer klaren, prägnanten Sprache, die sowohl das Vertraute als auch das Verstörende einfängt, bringt die Autorin eine epische Unversöhnlichkeit zum Ausdruck, die ebenso erbarmungslos wie ehrlich ist. Es ist eine Geschichte über den unaufhörlichen Kampf um Selbstverständnis und Freiheit im Angesicht der Konventionen.