Kinder träumen von einer Welt, in der ihre Herkunft oder ihr Geschlecht keine Rolle spielt. Sie stellen sich eine Zukunft als Wissenschaftler:in, Astronaut:in oder Lehrer:in vor. An diesem berührenden Ansatz hat Ruth Beckermann mit ihrem Dokumentarfilm „Favoriten“ angesetzt, der das Leben einer Volksschulklasse in Favoriten, einem multikulturellen Stadtteil Wiens, ins Licht rückt.
Vor allem die Lehrerin Ilkay Idiskut und ihre Schüler:innen stehen im Mittelpunkt des Films, der über drei Jahre hinweg entstanden ist. Der Titel „Favoriten“ verweist nicht nur auf den Stadtteil, sondern unterstreicht auch, dass diese Kinder die „Favoriten“ der Filmemacherin sind. Beckermann möchte damit auf die Bedeutung von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit hinweisen.
Einblicke in das Klassenzimmer
Der Film gibt einen intimen Einblick in das Klassenzimmer einer ersten Klasse, in dem kein Kind Deutsch als Muttersprache spricht. Es wird gezeigt, mit welchem Elan und Ehrgeiz die Kinder lernen, lachen und interagieren. Dabei vertrauen sie auf die Unterstützung ihrer Lehrerin, die ihnen mit Empathie und Humor begegnet. Beckermann erkennt, dass der Weg für Kinder, die in einem solchen System aufwachsen, voller Herausforderungen und Hindernisse ist.
Viele Kinder, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen, haben nicht die Möglichkeit, sich in der deutschen Sprache auszudrücken. Ilkay Idiskut betont, dass diese Sprachbarriere ein ständiges Hindernis im schulischen Alltag darstellt. Ihre Schüler:innen ziehen oft den Kürzeren, weil sie nicht genügend Gelegenheit haben, Deutsch zu sprechen. Ein eingehender Dialog über Vielfalt und Integration ist notwendig.
„Das ist ein Totalversagen unseres Bildungssystems seit vielen Jahren“, stellt Ruth Beckermann fest. Sie wünscht sich frühzeitige Sprachförderung bereits im Vorschulalter, um den Kindern eine bessere Basis für ihre Bildung zu bieten. „Kinder sind so lernbegierig“, sagt sie. „Warum werden sie nicht mehr gefördert?“ Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und regt zur Diskussion über die Unterstützung von benachteiligten Schüler:innen an.
Die teilnehmenden Kinder werden in ihrer Neugierde und Kreativität auf besondere Weise gefördert. Beckermann hebt die authentische Art von Idiskut hervor, die es vermag, die Schüler:innen ernst zu nehmen und gleichzeitig für Spaß und Freude im Unterricht zu sorgen. Sie bringt den Kindern nicht nur bei, wie wichtig das Lernen ist, sondern fördert auch deren Ausdrucksvermögen und Kommunikationsfähigkeiten.
Herausforderungen der aktuellen Bildungspolitik
Der Film thematisiert auch die problematische Realität, dass Kinder in Deutschland und Österreich bereits mit zehn Jahren in eine neue Bildungslaufbahn geschickt werden, was nicht selten mit immensem Druck verbunden ist. „Das gibt es kaum anderswo“, sagt Beckermann und kritisiert den vorzeitigen Wechsel ins Gymnasium. „Eltern drängen ihre Kinder, ohne diese zu unterstützen.“
Die traurigen Auswirkungen dieser Überforderungen zeigen sich bereits in der jüngsten Klasse, wo selbst die Freude am Lernen gefährdet ist. Idiskut plädiert dafür, Kinder nicht zu stigmatisieren und sie nicht in Schubladen zu stecken; sie sollten die Möglichkeit haben, sich gegenseitig zu unterstützen, unabhängig von ihrem Bildungsweg. Beckermann weist zudem darauf hin, dass der Film eine Plattform bieten kann, um Diskussionen über notwendige Veränderungen im Bildungssystem zu fördern.
„Favoriten“ ist viel mehr als nur ein Dokumentarfilm; er ist ein Aufruf zur Bildungsgerechtigkeit. Der Film wurde bei der Berlinale mit dem Friedensfilmpreis ausgezeichnet und wird am 19. September in den österreichischen Kinos starten. „Wir freuen uns besonders darauf, dass die Kinder und ihre Eltern den Film auch einmal gemeinsam sehen werden“, sagt Beckermann voller Vorfreude.