Die Salzburger Regisseurin Gabriele Hochleitner hat sich mit ihrem aktuellen Film „Trog“ einer tiefgründigen Materie gewidmet. In Gesprächen mit ihren Cousinen und Cousins bringt sie persönliche Schicksale und die Geschichte des familiären Bauernhofs in Goldegg ans Licht. Hochleitner interessiert sich besonders für die Weitergabe von Traumata über Generationen hinweg. „Ich interessiere mich sehr für Traumata und wie diese generationsmäßig weitergegeben werden“, erklärt sie, was ihrer Sichtweise auf die familiären Geschichten einen besonderen Fokus verleiht.
Im vorherigen Film „In der Kurve“ beschäftigte sich Hochleitner mit dem Schicksal ihres Vaters, dessen Brüder im Zweiten Weltkrieg von der Gestapo erschossen worden waren. Nun hat sie sich dem Leben ihrer Familie und insbesondere dem ihres ältesten Onkels Hans gewidmet. Hans heiratete Theresia, die aus einer ersten Ehe mit einem Deserteur, der hingerichtet wurde, bereits vier Kinder mitbrachte. Für Hochleitner war die Verbindung zu diesen Erlebnissen sehr emotional, besonders das Schicksal der vier ältesten Kinder, die sie tief berührte. Theresia selbst war eine Zeit lang im Konzentrationslager.
Der Prozess der Erinnerung
Der entscheidende Moment kam als sie das leerstehende Haus ihres Onkels betrat. Die elf Cousinen und Cousins, die bereit waren zu reden, legten beim Betreten des Hauses ihre Geschichten offen. „Besonders für die Frauen war es eine sehr emotionale Angelegenheit“, merkt Hochleitner an, während die Männer dazu tendierten, an der Oberfläche zu bleiben. Der Zugang zu den persönlichen Erinnerungen wurde durch die Atmosphäre des Ortes stark beeinflusst.
- Im Haus, das ein gewisses Maß an Respekt einflößte, konnte Hochleitner die Erzählungen auf eine sehr familiäre Weise anstoßen.
- Die Einmaligkeit des Moments war essenziell: „Diesen Überraschungsmoment gibt es nur einmal“, betont sie und fügt hinzu, dass die Erinnerungen am besten entstehen, wenn man sie zulässt.
Ein zentrales Thema des Films ist auch die Beziehung zu einer Cousine, die aus einer stiefkindlichen Verbindung mit Hans hervorging. Diese Tatsache war für Hochleitner lange ein offenes Geheimnis. „Ich wusste diese Sachen, wusste, dass es diese Cousine gibt – aber die genauen Beziehungen kannte ich nicht“, erklärt sie. Die komplexen Beziehungen innerhalb der großen Familie, die aus insgesamt 14 Kindern bestand, machten die Dinge für sie noch weniger durchschaubar.
Das Haus selbst, das als Kulisse dient, hat für den Film eine zentrale Rolle eingenommen. Hochleitner beschreibt es als Momentaufnahme – „Da stehen Dinge herum, als wären die Leute, die da gewohnt haben, nur kurz weggegangen und nie wiedergekommen“. Das gibt dem Film auch eine nostalgische Note, da alltägliche Gegenstände wie Bettwäsche und Geschirr gefunden wurden, die Erinnerungen an ihre eigene Kindheit hervorrufen.
Ein Tribut an das Erbe
Der Film „Trog“ wird am 22. August im Wettbewerb des Festivals Der neue Heimatfilm in Freistadt gezeigt. Hochleitner sieht in ihrem Werk nicht nur das Festhalten von Familienhistorien, sondern auch einen Tribut an das Haus selbst. „Ein Dokument, das bleibt für die Leute, die nachher kommen“, sagt sie. Die Erinnerungen, die im Film geteilt werden, sind nicht nur Erzählungen, sondern auch ein Erbe für zukünftige Generationen.
Durch Hochleitners sensible Herangehensweise wird der Film nicht nur zu einem Dokument über ihre Familie, sondern spiegelt auch die universelle Problematik der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wider. Die emotionale Tiefe und die ehrliche Darstellung der Erinnerungen machen „Trog“ zu einem bedeutenden Werk, das die Zuschauer auf eine persönliche Reise zur Erkenntnis einlädt.
Einblicke in die soziale Geschichte Österreichs
Der Film „Trog“ von Gabriele Hochleitner beleuchtet nicht nur persönliche Schicksale, sondern greift auch in einen breiteren sozialen Kontext, der die Geschicke vieler österreichischer Familien prägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Österreich einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Die vergangenen Traumata, insbesondere während der NS-Zeit, beeinflussten die Generationen, die darauf folgten. Häufig wurden kollektive Erinnerungen und Erfahrungen in den Familien nicht thematisiert, was zu einer Art „Schweigen im Raum“ führte.
Diese Dynamik der Erinnerungsweitergabe und des birgt erhebliche Herausforderungen, aber auch Chancen zur Aufarbeitung. Hochleitner widmet sich in ihrem Film diesen Aspekten und gibt den Stimmen einer Generation Gehör, die oft übergangen wurde. Der Ansatz, die Gespräche in dem vertrauten Raum des ehemaligen Bauernhofs anzusiedeln, macht die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte greifbarer.
Emotionale Dimensionen der filmischen Porträtierung
Die emotionale Tiefe, die Gabriele Hochleitner in „Trog“ schafft, ist bemerkenswert. Während des Filmdrehs war das Gefühl von Intimität und Verletzlichkeit entscheidend, um die persönlichen Geschichten der Protagonisten authentisch einzufangen. Der Rückhalt, den die Familienmitglieder geben und erhalten, spielt eine zentrale Rolle dabei, wie Erinnerungen erzählt und verarbeitet werden. Dabei stellt sich die Frage, wie individuelle Erlebnisse eine familiäre Identität formen und prägen.
Der Dokumentarfilm fungiert nicht nur als eine Plattform, um über schmerzliche Themen zu sprechen, sondern auch als Werkzeug zur Erinnerung und Heilung. Es wird deutlich, dass das Filmen in einem solchen historisch aufgeladenen Raum eine eigenständige Erzählform hervorbringt, die sowohl als persönliche als auch als gesellschaftliche Reflexion gilt. Hochleitner selbst spricht darüber, dass jede Begegnung mit dem Haus und den darin lebenden Geschichten eine Art öffnet, die sowohl für die Filmemacherin als auch für die Interviewten neu und befreiend war.
Der Stellenwert des Hauses in der Geschichte
Das leerstehende Haus, das im Film eine zentrale Rolle spielt, ist mehr als nur Kulisse – es wird zum emotionalen Zentrum der Erzählung. Historisch betrachtet repräsentiert es die Erinnerungen, die Verlustregion und die intimsten Geschichten einer Familie, die durch verschiedene Generationen hindurchreichen. Hochleitner beschreibt das Haus als „Momentaufnahme“, in der alltägliche Gegenstände die Lebendigkeit vergangener Zeiten widerspiegeln und einen Einblick in die Familiengeschichte ermöglichen.
Ein solches Zuhause verliert oft im Laufe der Zeit seine Bedeutung, wenn die Bewohner nicht mehr vorhanden sind. Doch für Hochleitner wird dieses Haus zum Symbol des Erinnerns und der Aufarbeitung. Es stellt die Verbindung zur Vergangenheit dar und bietet den Familienmitgliedern einen Raum, in dem sie sich mit ihrem Erbe auseinandersetzen können. Das erzählt auch von der potenziellen Kraft, die in der Begegnung und dem Dialog über schmerzhafte Erinnerungen steckt.