
In der Stadtgemeinde Tulln gibt es eine bedeutende Initiative, die die umstrittene Vergangenheit des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz in den Fokus rückt. In Zusammenarbeit mit der BOKU Universität und unter der Anleitung des Zeithistorikers Oliver Rathkolb wird eine Zusatztafel am Straßenschild der Konrad-Lorenz-Straße eingerichtet, die auf die problematischen Aspekte seiner Biografie hinweist. Dieses Projekt zielt darauf ab, Lorenz' ideologische Verstrickungen mit dem NS-Regime in einen historischen Kontext zu setzen.
Konrad Lorenz, der für seine Pionierarbeit in der vergleichenden Verhaltensforschung bekannt ist, wird oft als großer Wissenschaftler gefeiert. Doch gleichzeitig bewies er in den 1940er Jahren eine auffällige Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie, als er die Ausmerzung von "ethisch Minderwertigen" propagierte. Diese ambivalenten Facetten seiner Persönlichkeit und seines Schaffens stehen im Mittelpunkt der neuen Initiative.
Die Enthüllung der Zusatztafel
Am 11. November 2024 werden BOKU-Rektorin Eva Schulev-Steindl und Tullns Bürgermeister Peter Eisenschenk die Zusatztafel offiziell enthüllen. Lorenz hatte zwar später in seinem Leben öffentlich eingeräumt, dass er sich rassistischen Ansichten angepasst habe, aber eine tiefere Auseinandersetzung mit dieser Thematik blieb ihm bis zu seinem Tod verwehrt. Diese Widersprüchlichkeit und die Tatsache, dass er während seiner gesamten Karriere seine Mitgliedschaft in der NSDAP verbarg, werfen einen Schatten auf sein Werk.
Die BOKU Universität hat sich dazu verpflichtet, die NS-Vergangenheit ihrer Institution zu beleuchten. Schulev-Steindl betont: „Wir als BOKU sehen uns in der Verantwortung, alle Aspekte der NS-Vergangenheit unserer Universität aufzuarbeiten.“ Dies ist auch ein Grund, warum die Straße nicht umbenannt wird. Bürgermeister Eisenschenk hebt hervor, dass das Wissen über die NS-Vergangenheit entscheidend ist, um ähnliche Gedankenstrukturen in der Zukunft zu verhindern.
Historische Reflexion und Verantwortung
Rathkolb, der das Gutachten verfasste, stellt klar, dass Lorenz sich in seinen Veröffentlichungen eng an die nationalsozialistische rassistische Terminologie anpasste und diese Ideologien nicht nur akzeptierte, sondern sie auch unterstützte. Diese kritischen Fragen zur Wissenschaftskultur und deren Einfluss auf die Forschung sowie das Erbe von Lorenz sind Teil des öffentlichen Diskurses, der durch diese Initiative angestoßen wird.
Der Fall Lorenz ist nicht nur ein Beispiel für die ambivalente Beziehung zwischen Wissenschaft und Ideologie, sondern auch ein Aufruf zur Selbstreflexion in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Rathkolb fordert, dass eine differenzierte Betrachtung der wissenschaftlichen Leistungen ohne Tabus erfolgen muss, um die komplexe Natur des wissenschaftlichen Schaffens zu verstehen.
Es bleibt abzuwarten, wie die lokale Bevölkerung auf diese Initiative reagiert und inwieweit sie zur Aufarbeitung der Geschichte beiträgt. Weitere Informationen dazu finden sich auf www.meinbezirk.at.
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