Lea Bockem hat etwas Besonderes ins Leben gerufen: In ihrem Geschäft „Unverpackt Seelscheid“ an der Straße Auf der Höh 2 haben die Kunden seit Juli die Möglichkeit, nicht nur ihre Einkäufe zu erledigen, sondern auch Teil eines neuen Mitgliedersystems zu werden. Dieses Konzept, das eine nachhaltige und gemeinschaftliche Einkaufserfahrung fördert, trägt den Namen „Freundeskreis“ und hat das Ziel, eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Kunden und dem Laden aufzubauen.
Trotz der Herausforderungen, die der Einzelhandel mit sich bringt, zieht die 25-Jährige ein positives Fazit über ihre ersten drei Jahre als Geschäftsführerin. „Es läuft sehr gut. Das Geschäft wird von den Kunden sehr gut angenommen,“ betont Bockem. Besonders erfreulich ist der Zuspruch für das neue System, das auf dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft basiert. Viele Kunden haben sich bereits diesem Anliegen angeschlossen und bieten Unterstützung in Form von monatlichen Beiträgen.
Das neue Mitgliedersystem
Das Modell des Freundeskreises ermöglicht es den Mitgliedern, durch Vorauszahlungen von monatlichen Beiträgen zu sparen. Der „voller Beitrag“ beträgt 120 Euro und gewährt einen Rabatt von sieben Prozent auf alle Artikel. Auch der „halbe Beitrag“ von 60 Euro ermöglicht einen fünfprozentigen Rabatt. Für einen „Viertelbeitrag“ von 30 Euro gibt es bisher keine Vergünstigung. Kunden können zwischen einer Laufzeit von sechs oder zwölf Monaten wählen, was Flexibilität und Planungssicherheit bietet.
Ein weiterer Vorteil dieser Regelung ist die aktive Mitgestaltung der Kunden: „Die teilnehmenden Kunden hatten ein Mitspracherecht, und wir haben mit einigen bei der Einführung das Sortiment kritisch hinterfragt“, so Bockem. Die Einführung von frischem Obst und Gemüse, die seit Juli Teil des Angebots sind, wurde durch die Wünsche der Mitglieder ermöglicht. „Das habe sich gelohnt, weil es gut angenommen werde“, ergänzt sie, da viele Kunden diese Erneuerung begrüßen konnten.
Das Sortiment und die Standortgeschichte
Schon seit ihrer Eröffnung bietet der Unverpackt-Laden auf 35 Quadratmetern rund 500 Produkte an, darunter eine Vielzahl an Lebensmitteln, Reinigungsmitteln und Pflegeartikeln. Viele dieser Produkte werden von regionalen Anbietern angeboten, was die Nachhaltigkeit des Unternehmens unterstützt. „Das sind Waren des täglichen Gebrauchs“, beschreibt Bockem das Angebot. In speziellen Abfüllbehältern, den sogenannten Bins, können die Kunden ihre gewünschten Mengen direkt selbst abfüllen.
Doch der Weg zu diesem Erfolg war nicht immer leicht. „Ich musste im Rahmen meines Studiums ein Praxissemester machen und habe dann während der Bachelor-Arbeit den Laden nach knapp einem Jahr der Planung im September 2021 eröffnet“, erklärt sie. Über die Anfänge berichtet sie, dass die Produktauswahl in den ersten Monaten oft neu überdacht wurde und viele neue Artikel hinzugekommen sind. Die Kunden haben spielerisch bei der Entscheidung mitgewirkt.
Bockem selbst lebt in Siegburg und arbeitet derzeit an ihrer Masterarbeit. Unterstützt wird sie von einer Festangestellten und zwei Aushilfen, die ihr beim Geschäftsbetrieb zur Seite stehen. In den Sommermonaten hat Bockem zudem eine Lounge mit vier Tischen im Vorgarten geschaffen, wo sie ihre Kunden mit Kaffee und Kuchen empfangen kann. Das Konzept bündelt somit nicht nur den Einkauf von unverpackten Lebensmitteln, sondern fördert auch die Geselligkeit und den Austausch untereinander.
Die Nachfrage nach Regionalität und nach unverpackten Produkten ist derzeit stark angestiegen. Im Umfeld des Rhein-Sieg-Kreises haben sich jedoch nur wenige Unverpackt-Läden erfolgreich behauptet. „Wir sind gut vernetzt mit anderen Unverpackt-Läden,“ sagt Bockem, die stets im Austausch steht mit anderen Geschäftsinhabern in der Region. Ein anderes Geschäft, das ein ähnliches Konzept wie der Freundeskreis verfolgt, ist „Siegburg Unverpackt“. Dort erhalten Mitglieder durchschnittlich 20 Prozent Rabatt auf ihre Einkäufe, was auch das Interesse in der Umgebung anregen könnte.
Nachhaltiges Einkaufen mit einem persönlichen Touch
Die Idee, dass Kunden nicht nur Verbraucher, sondern auch aktive Mitgestalter des Sortiments sind, könnte die Zukunft des Einzelhandels prägen. Die Möglichkeit, über persönliche Beiträge und Wünsche Einfluss auf das Angebot zu nehmen, wird zunehmend geschätzt. Trends in der Lebensmittelbranche zeigen, dass ein Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit und individuelle Gestaltung der Einkaufserfahrung immer relevanter wird.
Die Bewegung der Unverpackt-Läden ist Teil eines größeren Trends hin zu mehr Nachhaltigkeit und umweltbewusstem Konsum. In den letzten Jahren haben immer mehr Verbraucher ein Interesse an plastikfreier und regionaler Ernährung entwickelt. Diese Entwicklung wird durch zahlreiche Berichte und Studien unterstützt, die darauf hinweisen, dass Verbraucher zunehmend die Umweltauswirkungen ihrer Einkäufe in Betracht ziehen. Beispielsweise hat eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Nielsen von 2021 festgestellt, dass über 66% der deutschen Verbraucher bereit sind, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen.
Ein zentraler Aspekt des Unverpackt-Konzepts ist auch der Umgang mit Lebensmittelabfällen. Laut einer Studie des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2020 entsteht in Deutschland jährlich etwa 12 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle, von denen ein erheblicher Teil vermeidbar wäre. Unverpackt-Läden bieten hier eine Alternative, indem sie Kunden ermutigen, nur das zu kaufen, was sie tatsächlich benötigen, und somit die Kreislaufwirtschaft fördern.
Das Potenzial der Unverpackt-Läden für die Gesellschaft
Neben den ökologischen Vorteilen bieten Unverpackt-Läden auch soziale Vorteile. Sie fördern die Gemeinschaft und bieten Plattformen für den Austausch unter den Kunden. Oftmals werden lokale Produkte verkauft, was die lokale Wirtschaft unterstützt. In vielen Fällen entstehen direkte Beziehungen zwischen Lieferanten und Verbrauchern, was das Vertrauen in die Herkunft und die Qualität der Produkte stärkt.
Darüber hinaus können solche Läden eine wichtige Rolle in der Bildung spielen, indem sie Workshops zu Themen wie Zero Waste und nachhaltige Lebensweise anbieten. Dies kann das Bewusstsein für ökologische Fragen schärfen und Kunden dazu bewegen, ihre Konsumgewohnheiten grundlegend zu überdenken.
Finanzielle Aspekte und Herausforderungen
Die finanziellen Strukturen eines Unverpackt-Ladens sind häufig ein kritischer Punkt. Das Mitgliederkonzept, wie es beispielsweise in „Unverpackt Seelscheid“ eingeführt wurde, sorgt dafür, dass eine gewisse finanzielle Stabilität gewährleistet ist. Dennoch müssen Unverpackt-Läden oft kreative Lösungen finden, um wettbewerbsfähig zu bleiben, vor allem gegen große Einzelhandelsketten.
Es gibt auch Herausforderungen im Bereich der Preisgestaltung. Bio-Produkte, welche häufig in Unverpackt-Läden verkauft werden, sind in der Regel teurer. Studien zeigen, dass viele Verbraucher bereit sind, höhere Preise für Bio-Produkte zu zahlen, jedoch kann dies den Zugang zu diesen Produkten für einkommensschwache Verbraucher einschränken. Daher ist es wichtig, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auch inklusiv sind und eine breitere Zielgruppe ansprechen.
– NAG