Der erste Sonntag im September ist in Deutschland und ganz Europa seit 25 Jahren ein Tag, der ganz der jüdischen Kultur gewidmet ist. An diesem besonderen Wochenende öffnen jüdische Gemeinden, Gedenkstätten sowie Museen ihre Türen und laden zu einer Vielzahl von Veranstaltungen ein. Ziel ist es, das Bewusstsein für die deutsche und europäische jüdische Geschichte, Traditionen und Bräuche zu fördern, sowie die bedeutenden Beiträge des Judentums zur europäischen Kultur zu würdigen.
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind in diesem Jahr besonders aktiv mit einem reichen Programm. In den rheinland-pfälzischen Schum-Städten, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, finden zahlreiche Führungen durch authentische Synagogen, eindrucksvolle jüdische Museen und historische Friedhöfe statt. Diese Städte, zu denen Speyer, Worms und Mainz gehören, sind einzigartige Zeugen der jüdischen Identität in Europa und bieten einen tiefen Einblick in die reiche Geschichte des europäischen Judentums.
Das Erbe lebendig halten
In Emmendingen in Südbaden erblüht seit 1995 wieder ein jüdisches Leben. Der Ort zeigt, dass jüdische Kultur und Gemeinschaft auch abseits der großen Städte lebendig sind. Dort wird das Erbe des jüdischen Lebens aktiv gepflegt, während die Erinnerungen an das, was verloren ging, wie ein schmerzhafter Schatten über den heutigen Aktivitäten liegen. Ein herausragendes Beispiel ist der pensionierte Geschichtslehrer Eberhard Zacher, der in Münsingen-Buttenhausen, einer Gegend, in der Juden und Christen über Jahrzehnte hinweg zusammenlebten, die Erinnerungen der ehemaligen jüdischen Gemeinschaft erforscht hat. „Man sieht von den alten Judenhäusern eigentlich fast nichts mehr“, leider bedauert der 85-jährige Zacher, wonach er alte Geschichten wieder zum Leben erweckt.
Die Jiddisch-Sprache hat ebenfalls eine zentrale Rolle in diesem kulturellen Erbe. Vor rund 1000 Jahren entstand Jiddisch im Südwesten, und eine engagierte Pfarrerin, Evi Michels aus Karlsruhe, kämpft dafür, diese Sprache nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. An der Universität Tübingen unterrichtet sie Jiddisch und hofft, dass diese Sprache auch in der breiten Kultur und Kunst präsent bleibt. Sie erklärt, dass es wichtig sei, die literarischen und kulturellen Beiträge der jüdischen Gemeinschaft zur europäischen Gesellschaft wiederzugewinnen, um das Gedächtnis an die Vernichtung der Menschen und ihrer Traditionen zu bewahren.
Jüdisches Leben als Bestandteil der Gesellschaft
Die junge Studentin Emilia Taran lebt und studiert in Mainz und hat den jüdischen Studierendenverband Hinenu e.V. mitbegründet. Sie betont, dass das Judentum nicht nur eine Religion, sondern auch eine Volksgemeinschaft sei. „Gemeinschaftsleben ist zentral für uns; wir feiern zusammen Feiertage und besuchen die Synagoge gemeinsam. Es ist wichtig, dass wir nicht allein sind“, so Taran. Diese gemeinsame Identität ist gerade in der heutigen Zeit von Bedeutung.
Vor dem Hintergrund des Terrorangriffs der Hamas im Oktober beobachten Taran und andere, dass die Lage für jüdische Studierende zunehmend schwieriger wird. Die Gefühle von Unbehagen und Unsicherheit sind spürbar. „Ich höre von vielen Kommilitonen, dass sie sich auf dem Campus nicht mehr wohlfühlen und nicht wissen, ob sie offen ihr Judentum zeigen dürfen“, beschreibt Taran. Diese Entwicklungen verstärken das Bedürfnis, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zu unterstützen und ihr zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen wird.
Der Europäische Tag der jüdischen Kultur wurde zu einer Plattform, um sowohl die reiche Kultur zu feiern als auch gegen gegenwärtige Herausforderungen und Vorurteile in der Gesellschaft zu kämpfen. Die engagierten Stimmen von heute sind deutlich: Das jüdische Leben ist ein fundamentaler Bestandteil Europas und sollte mit Respekt und Interesse behandelt werden.