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Wenn die Medizin zur Gefahr wird: Aggression in der Wetterauer Gesundheitsversorgung

In der Wetterau kommt es vermehrt zu aggressiven Übergriffen von Patienten auf medizinisches Personal, was laut Ärzten und Pflegekräften ernsthafte Sicherheitsbedenken aufwirft und das Gesundheitssystem belastet.

In der Gesundheitsbranche sieht sich das Personal immer wieder aggressiven Übergriffen und unhöflichem Verhalten von Patienten gegenüber. Lange Wartezeiten, das Missverständnis über medizinische Abläufe oder einfach nur frustrierte Gemütslagen führen dazu, dass die Nerven der Beteiligten auf eine harte Probe gestellt werden. Eigentlich ist der Arzt dazu da, um zu helfen und die Gesundheit der Patienten zu fördern, doch die Realität in vielen Praxen und Kliniken sieht oft anders aus.

Im Wetteraukreis hat Dr. Alexander Jakob, ein in Bad Nauheim praktizierender Hausarzt und Vorsitzender des Bezirks Wetterau im Hessischen Hausärzteverband, die ansteigende Aggressivität unter den Patienten festgestellt. „Der Druck wird oft im Empfangsbereich aufgebaut“, erklärt er. Viele Patienten versuchen, schneller an Termine oder Befunde zu gelangen, was zu verbalen Übergriffen auf die Mitarbeiterinnen führt. „Das ist mittlerweile Alltag in den Praxen“, fügt er hinzu.

Vorfälle in Kliniken

Die Situation in den Krankenhäusern ist ähnlich besorgniserregend. Dr. Andreas Jungbauer, Oberarzt am Hochwaldkrankenhaus Bad Nauheim, berichtet von regelmäßigen beleidigenden Äußerungen und heftigen Zurückweisungen, die Ärzte und Pflegekräfte erleben müssen. „Es sind etwa vier bis fünf körperliche Angriffe pro Jahr in unseren Einrichtungen zu verzeichnen, insbesondere in den Notaufnahmen“, beschreibt er die alarmierende Lage. Jugendsünden scheinen in vielen Fällen eine Rolle zu spielen, da die Täter häufig unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen.

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Ein weiterer Grund, weshalb Patienten oftmals aggressiv reagieren, kann eine falsche Erwartungshaltung an die Rolle der Notaufnahmen sein. Viele Krankheitsfälle, die nicht umgehend behandelt werden müssen, werden fälschlicherweise als Notfälle betrachtet, was zu Frustration und Ärger führen kann, wenn die Mitarbeiter dies nicht sofort akzeptieren. Dr. Jungbauer nennt ein Beispiel: „Manchmal bringt eine fehlende Kommunikation zwischen Patient und Personal mehr Verständnis, aber nicht immer gelingt das.“

Notfallmechanismen zur Deeskalation

Angesichts dieser Komplikationen haben einige Einrichtungen bereits Maßnahmen zur Deeskalation getroffen. Im Hochwaldkrankenhaus wurde ein Notfallknopf installiert, der im Ernstfall einen stillen Alarm auslöst. Das Personal reagiert dann schnell, ohne den Eindruck zu erwecken, dass eine Gefahr besteht. „Die bloße Anwesenheit kann oft schon deeskalierend wirken“, erklärt Mark Griffin, der Pflegedienstleiter.

Zusätzlich werden Schulungen zur Deeskalation angeboten. Almut Weber, Leiterin einer Kampfkunstschule in Friedberg, offeriert Workshops, die sich mit den Herausforderungen in der Gesundheitsbranche befassen. „Die interaktive Kommunikation ist entscheidend. Manchmal reicht ein einfaches Wasser oder Kaffee, um eine angespannte Atmosphäre zu beruhigen“, sagt sie. Eine ihrer Empfehlungen beinhaltet, eine Barriere zwischen Patient und Personal zu schaffen, um potenzielle Übergriffe zu verhindern.

Die präventiven Maßnahmen werden zunehmend wichtiger, sollte man die Ausbreitung aggressiven Verhaltens im Gesundheitswesen eindämmen wollen. „Wir setzen bei der Kampfkunst auf Selbstverteidigungstechniken und darauf, den Schwung eines Angreifers zu nutzen“, erklärt Weber.

Ein konkreter Vorfall, der die Sorgen der Mitarbeitenden verdeutlicht, fand kürzlich im Hochwaldkrankenhaus statt. Ein Patient, der nach einem gewaltsamen Ausbruch im Zusammenhang mit seinen Problemen mit dem Sozialamt eingeliefert wurde, verletzte eine Krankenschwester. Obwohl es den Mitarbeitern gelungen ist, die Situation zu kontrollieren, macht der Vorfall deutlich, wie schnell Aggressionen eskalieren können.

Die Vorfälle in der Wetterau sind jedoch nicht isoliert, sie spiegeln ein wesentlich größeres Problem wider, mit dem das Gesundheitspersonal landesweit konfrontiert wird. Umso wichtiger ist es, dass alle Beteiligten verstehen, wie man mit derurchdachten und vorausschauenden Maßnahmen eigene Sicherheit und die des Patienten gewährleisten kann.

Der Umgang mit aggressiven Patienten erfordert nicht nur medizinische Fähigkeiten, sondern auch eine durchdachte Strategie zur Deeskalation und Kommunikation. Die Gesundheitsbranche steht in der Verantwortung, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die sowohl für Patient als auch für Personal sicher sind. Hierzu sind Schulungen und verschiedene Ansätze zur Verbesserung der Kommunikationsstrategien unerlässlich.

Die Gewalt gegen medizinisches Personal ist ein weit verbreitetes Phänomen, das nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern auftritt. Studien zeigen, dass der Anstieg von Aggressionen und Übergriffen auf Gesundheitspersonal ein ernstes Problem darstellt. Eine Umfrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2021 festgestellt, dass in vielen Ländern bis zu 38% der Gesundheitseinrichtungen von gewalttätigen Vorfällen betroffen sind. Dies kann sowohl physische als auch verbale Angriffe umfassen, die sowohl das Personal als auch die Patienten in den Einrichtungen betreffen können. Der Druck, unter dem das Gesundheitssystem während der COVID-19-Pandemie stand, hat die Situation verschärft, da Frustrationen über lange Wartezeiten und unzureichende Versorgung zugenommen haben.

In Deutschland hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung bereits Maßnahmen ergriffen, um diese Problematik zu adressieren. Dazu gehören Schulungen in Deeskalationstechniken und die Bereitstellung von Ressourcen für Mitarbeiter, um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Gleichzeitig wird betont, dass die Gesellschaft als Ganzes stärker auf die Herausforderungen, mit denen das medizinische Personal konfrontiert ist, aufmerksam gemacht werden sollte, um langfristige Lösungen zu finden.

Schutzvorkehrungen und Maßnahmen

In den letzten Jahren haben viele Krankenhäuser und Arztpraxen ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Dazu zählen die Installation von Überwachungskameras, die Schaffung von sicheren Rückzugsorten für Mitarbeiter und die Implementierung von sofortigen Alarmreaktionen. Zudem bieten zahlreiche Einrichtungen psychologische Unterstützung für Mitarbeiter an, die Opfer von Gewalt geworden sind. Diese Maßnahmen sind entscheidend, um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten und dem Personal das Gefühl zu geben, dass ihre Sicherheit ernst genommen wird.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schaffung eines Bewusstseins der Community gegenüber diesem Problem. Lokale Initiativen und Kampagnen können dazu beitragen, den Dialog über den respektvollen Umgang mit dem Gesundheitspersonal zu fördern. Veranstalter von Gesundheitsmessen und Informationsabenden haben die Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen und über die Herausforderungen aufzuklären, die Ärzte und Pflegekräfte täglich bewältigen müssen. Öffentlichkeitsarbeit kann helfen, die Wahrnehmung zu ändern und das Verständnis für die Bedingungen zu fördern, unter denen Gesundheitsdienstleister arbeiten.

– NAG

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