In einer bemerkenswerten Wendung der wissenschaftlichen Anerkennung sind die beiden US-Wissenschaftler Victor Ambros und Gary Ruvkun mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Ihre bahnbrechende Entdeckung vor 30 Jahren, die sich mit kurzen RNA-Molekülen befasst, hat nicht nur das Verständnis von genetischen Prozessen revolutioniert, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Forschung zu Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und Autoimmunerkrankungen.
Zurück in den 1980er-Jahren, im Rahmen des Biologieunterrichts, lernten Schüler, dass im Zellkern die DNA als Träger des Erbguts fungiert. Diese DNA besteht aus Genen, die als Baupläne für Proteine dienen. Ein zentraler Prozess beschreibt, dass eine Kopie eines Gens in Form von messenger RNA (mRNA) erstellt wird, welche das Zellinnere verlässt, um die entsprechenden Proteine zu produzieren. Allerdings ignorierten viele Forscher den Rest der DNA, der nicht in Proteine umgewandelt wird, und bezeichneten ihn als „junk DNA“, zu Deutsch „Abfall“.
Die Entdeckung der MicroRNA
Aber Ambros und Ruvkun entdeckten eine grundlegende Fehlannahme in dieser Sichtweise. Sie erfuhren, dass die mikroRNA einen entscheidenden Einfluss darauf hat, wie Gene abgelesen werden. Diese kleinen RNA-Moleküle können die Bildung kritischer Proteine sogar unterdrücken. Ihre Forschung konzentrierte sich in den frühen 1990er-Jahren auf die kleinen, transparenten Würmer der Art Caenorhabditis elegans, die aufgrund ihrer Einfachheit als ideales Modellorganismus in der Molekulargenetik gelten. Hierbei erkannten sie, dass mikroskopisch kleine RNA-Moleküle die Produktion eines bestimmten Proteins verhinderten.
Ursprünglich wurde diese Erkenntnis mit Skepsis betrachtet, da viele Wissenschaftler glaubten, dass solch eine Mechanik in höheren Tieren nicht vorkommt. Doch sieben Jahre später fand Ruvkuns Team diese Mikro-RNA auch im menschlichen Genom. Diese Entdeckung stellte sich als revolutionär heraus, da sich inzwischen gezeigt hat, dass mikroRNAs für zahlreiche wichtige Prozesse in der menschlichen Entwicklung und Physiologie von zentraler Bedeutung sind.
Besonders Nikolaus Rajewsky, ein Forscher am Max-Delbrück-Center in Berlin, hebt hervor, dass mikroRNAs auch die Komplexität des menschlichen Gehirns beeinflussend sind. Rajewsky, der die beiden Preisträger seit über zwei Jahrzehnten kennt, sagt: „Ich freue mich unglaublich für Ambros und Ruvkun.“ Seine eigene Forschung hat ihn zudem überzeugt von der Relevanz dieser RNA-Moleküle für die Medizin.
Praktische Anwendungen und die Zukunft der Forschung
Ein weiterer prominenter Forscher, Thomas Thum, der an der Medizinischen Hochschule Hannover tätig ist, hat ebenfalls die Bedeutung der mikroRNAs erkannt. Thum fand heraus, dass bestimmte mikroRNAs in herzkranken Patienten eine Rolle spielen können, indem sie das Wachstum von Herzmuskelzellen beeinflussen. Er hat auf dieser Grundlage eine Therapie entwickelt, die darauf abzielt, die schädlichen Effekte einer fehlgeleiteten mikroRNA zu blockieren, um so die Lebensqualität von Patienten mit Herzschwäche zu verbessern.
Die Bedeutung dieser Entdeckungen reicht sogar so weit, dass auch Tumoren mikroRNAs verwenden, um sich im Körper auszubreiten. Es gibt zudem Hinweise, dass sie eine Rolle im Prozess der Alterung spielen könnten. Der grundlegende Mechanismus, den Ambros und Ruvkun entdeckt haben, könnte in der Tat den Weg für neue Therapieansätze ebnen.
Der diesjährige Medizin-Nobelpreis unterstreicht nicht nur die Errungenschaften dieser beiden Wissenschaftler, sondern auch den nachhaltigen Einfluss ihrer Forschung auf das Gesundheitswesen. Die Entdeckung von mikroRNAs hat die Tür zu einem vertieften Verständnis biologischer Prozesse geöffnet und könnte langfristig entscheidend zur Bekämpfung schwerwiegender Erkrankungen beitragen. Die Welt der Molekulargenetik wurde durch ihre Arbeit tiefgreifend verändert, und die aufgebauten Erkenntnisse werden zweifellos auch zukünftige Generationen von Wissenschaftlern inspirieren.
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