In Deutschland leidet etwa jeder hundertste Bürger am Fetalen Alkoholsyndrom (FASD), eine Entwicklungsstörung, die schwerwiegende Folgen für die Betroffenen hat. Oftmals ist der Genuss von Alkohol während der Schwangerschaft dafür verantwortlich, was von vielen als harmlos betrachtet wird. Dabei klingt der Spruch „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“ in diesem Kontext alles andere als unbedenklich, besonders für werdende Mütter, die jede Form von Alkohol ablehnen sollten.
Anlässlich des „Tags des alkoholgeschädigten Kindes“ am 9. September warnen Fachleute eindringlich vor den irreversiblem Folgewirkungen des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft. Die Folgen können gravierend sein: Von körperlichen Beeinträchtigungen, wie kleinen Geburtsgewichten und Organschäden, bis hin zu kognitiven Einschränkungen, die das Leben der Betroffenen nachhaltig beeinflussen.
Das Fetale Alkoholsyndrom im Detail
Das Fetale Alkoholsyndrom, welches heute als Fetale Alkohol-Spektrum-Störung bezeichnet wird, ist die häufigste nicht genetisch bedingte Behinderung unter Neugeborenen in Deutschland. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr 12.000 Neugeborene mit einem Alkoholschaden geboren, was mehr als einem Säugling pro Stunde entspricht. Laut Heike Kramer, der Vorsitzenden der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung in Hamburg, sind mehr Kinder von FASD betroffen als von anderen weit bekannten genetischen Diagnosen wie dem Down-Syndrom oder spastischer Zerebralparese.
Die Auswirkungen des Alkoholgenusses zeigen sich nicht nur durch körperliche Merkmale, wie schmale Augen und Lippen oder fehlende Erhebungen zwischen Oberlippe und Nase, sondern auch durch Verhaltensauffälligkeiten. Kinder mit FASD können Schwierigkeiten in der Schule haben, was sich in Form von Konzentrationsstörungen oder Lernbehinderungen äußert. Zudem fehlt ihnen oftmals das Verständnis für Zeit, Raum und soziale Interaktionen, was ihre Integration in die Gesellschaft erschwert.
Kathleen Kunath vom FASD-Fachzentrum Sonnenhof in Berlin berichtet, dass selbst bei Menschen mit relativ normaler Intelligenz häufig Alltagskompetenzen fehlen. Diese Diskrepanz zwischen intellektuellem Potenzial und Alltagsbewältigung führt oft zu Gefühlen der Frustration, die sich in aggressivem oder sogar kriminellem Verhalten äußern können. Ihre eigenen Worte beschreiben das Dilemma eindrucksvoll: „Ich kam auf die Welt und sie war mir zu viel.“
Der Leidensdruck für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist enorm. Susanne Sommer, Leiterin einer FASD-Beratungsstelle, hebt hervor, dass viele betroffene Kinder in Pflege- oder Adoptivfamilien leben, da ihre biologischen Eltern oft unwissend über die bestehenden Schädigungen wünschen. Oft wird FASD zunächst als Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (AD(H)S) fehlgedeutet, was die Diagnose und die damit verbundenen Hilfsangebote verzögert. Die Entwicklung der richtigen Diagnose kann, wie die Medizinerin Kramer erläutert, Jahre in Anspruch nehmen, was für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung darstellt.
Es ist wichtig, dass werdende Mütter und die Gesellschaft mehr über die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft informiert werden. Schwangere Frauen sollten ermutigt werden, auf Alkohol zu verzichten und in ihren Entscheidungen nicht unter Druck gesetzt werden. Es gibt wenig Wissen über die Auswirkungen, auch innerhalb des medizinischen Fachbereichs, und dieser Informationsmangel trägt zur Stigmatisierung betroffener Mütter bei.
Pädagogische Konzepte für den Umgang mit FASD-Patienten müssen angepasst werden. Die betroffenen Personen sind häufig emotional sehr sensibel und benötigen besondere Aufmerksamkeit. Als Pflegemutter berichtet Sommer von den hohen Anforderungen, die an die Erziehung gestellt werden. Das Gehirn von Menschen mit dieser Störung ist oft überfordert, weshalb einfache Ansätze und klar strukturierte Umgebungen hilfreich sein können.
Um die Schädigung von Kindern durch Alkohol in der Schwangerschaft zu verhindern, ist also nicht nur Aufklärung notwendig, sondern auch eine Veränderung im Denken der Gesellschaft. Wenn Schwangere sich immer noch rechtfertigen müssen, wenn sie keinen Alkohol konsumieren, wird es schwierig sein, zukünftige Fälle von FASD zu verhindern. Gemeinschaft und Bildung spielen hierbei eine essentielle Rolle, um für die Belange von Müttern und ihren Kindern sensibel zu werden und zu handeln.
epd/nihei
– NAG