In Deutschland sind viele Gebäude, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, im Verfall begriffen. Abseits der traditionellen Altstädte, wo der Charme des Historischen noch bewahrt ist, finden sich die verwaisten Überreste einst lebendiger Viertel. In der Stadt Meiningen in Thüringen lassen sich eindrucksvolle Altstadt-Häuser bewundern, doch nur wenige Schritte entfernt stehen halb zerfallene Gebäude, die ihre besten Tage hinter sich haben und mit zugetackerten Fenstern in verwilderten Gärten auf die Vergangenheit zurückblicken.
Obwohl die Stadt und viele ihrer Nachbarn nach Lösungen suchen, um die Misere der herrenlosen Immobilien zu bewältigen, sieht die Realität oftmals düster aus. In Thüringen gibt es allein über 400 solcher Grundstücke ohne Eigentümer, während Sachsen mehr als 800 zählt. Jörg Müller, ein Fachmann für Finanz- und Immobilienfragen an der Technischen Universität Chemnitz, macht deutlich, dass sich die Lage in den 2000er Jahren verschärft hat. „Immer mehr Wohnraum wurde vernichtet“, erklärt er und verweist auf die dramatischen Folgen des Leerstands.
Der langsame Verfall der Lost Places
Einige dieser Gebäude, die lange leer stehen, sind sogar seit über 80 Jahren ungenutzt. Alte Fabriken, Werkstätten und andere einstige Betriebe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg oder zur Zeit der Teilung Deutschlands stillgelegt. Der Exodus junger Menschen von den Dörfern und Städten gen Westen führte zu einem dramatischen Rückgang der Bevölkerungszahl in vielen ostdeutschen Regionen. „Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren schwierig, es gab Arbeitslosigkeit und wenig Perspektiven. Wir haben viele junge Leute verloren“, so Müller weiter.
Die ungewollte Erbschaft vieler älterer Menschen hat zu einem Überangebot an Wohnraum geführt. Nach dem Tod dieser Eigentümer stand oft niemand mehr zur Verfügung, um die Immobilien zu pflegen. Infolgedessen haben die unwirtschaftlichen Gebäudeverhältnisse den Wert der Immobilien weiter gesenkt: „Wenn ein Haus zehn Jahre leer steht, können Sie es vergessen. Dann sind die Abrisskosten höher als der Grundstückswert“, betont Müller.
Die Städte selbst leiden unter den Konsequenzen des Verfalls. Die an vielen Standorten sichtbaren Ruinen ziehen sich nicht nur durch die Stadtviertel, sondern reduzieren auch die Attraktivität des Wohnraums. Das führt in einem Teufelskreis dazu, dass noch mehr Menschen abwandern.
Herausforderung für die Kommunen
Die Gründe für das Untätigsein der Kommunen sind vielschichtig. „Oft sind die Eigentumsverhältnisse unklar, deren Klärung kann Jahre dauern“, erklärt Müller. Die Gemeinden warten häufig, bis keine Grundsteuer mehr gezahlt wird, bevor sie diese Immobilien in Zwangsversteigerung geben. Manchmal nehmen Städte die Objekte selbst in Besitz, jedoch stellt dies eine enorme finanzielle Herausforderung dar.
Zusätzlich fragen sich viele Kommunen, ob eine Investition in die Sanierung der Gebäude überhaupt sinnvoll ist, solange die Bevölkerungszahl weiter sinkt. „Wenn Städte eine Weiternutzung in Betracht ziehen, brauchen sie zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten, aber bei fortschreitendem Leerstand ist das schwierig“, erläutert der Immobilienexperte.
Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt es jeder Person, die keinen Eigentümer für ein leerstehendes Gebäude finden kann, dieses theoretisch kostenlos zu übernehmen, indem man sich im Kataster eintragen lässt. Müller warnt jedoch: „Man sollte sich fragen, warum der Fiskus kein Interesse an einem solchen Gebäude hat. Es liegt nahe, dass diese Immobilien nicht mehr zu Geld zu machen sind.“
Die Situation wird zudem dadurch komplizierter, dass viele Immobilien auf Plattformen zu unrealistisch niedrigen Preisen angeboten werden. Müller berichtet von Käufern, die glaubten, mit einem Euro-Haus eine rentable Investition zu machen, nur um später mit wertlosen Schrottimmobilien konfrontiert zu werden.
Trotz all dieser Herausforderungen versuchen einige Städte, den Missstand der herrenlosen Häuser aktiver anzugehen. Zum Beispiel in Altenburg, wo das Projekt „Hofhalten“initiiert wurde, um verlassene Gebäude wieder zu beleben und gleichzeitig die unsichtbaren Gassen der Stadt wieder sichtbar zu machen.
In Lunzenau-Göritzhain in Sachsen wurde sogar ein verlassener Gasthof abgerissen und das Grundstück rekultiviert, wobei die Stadt auf erhebliche Mittel des Bundes oder Landes angewiesen war.
Obwohl es einen Lichtblick durch diese Initiativen gibt, bleibt die Frage nach der langfristigen Lösung für das Problem der herrenlosen Häuser in Ostdeutschland weiterhin offen. Es bedarf eines umfassenden Ansatzes, um die angeschlagene Bausubstanz zu retten und die Städte wieder attraktiv zu machen.
– NAG