Weimar

Die seltsamen Erinnerungen: Künstliche Intelligenz trifft auf Bühne in Weimar

Am 30. August 2024 präsentierten Thomas Köck und Michael von zur Mühlen im Rahmen des Kunstfests Weimar mit "The Weird & The Eerie" eine interaktive Performance, in der eine schlecht gelaunte KI die Erinnerungen eines Menschen thematisiert und so Fragen zur Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufwirft.

31. August 2024. An diesem Abend in der KET-Halle von Weimar empfängt das Publikum eine Mischung aus Kunst und Digitalität, die durch visuelle und interaktive Elemente geprägt ist. Während sich die Zuschauer zwischen einer Vielzahl an Sitzgelegenheiten wie einem vergilbten Kinderbett und herkömmlichen Stühlen entscheiden können, herrscht in der Halle eine merkwürdige Atmosphäre. Die Wände sind mit bunten Collagen verziert, die Erinnerungen und Fragen aufgreifen, etwa „Ich erinnere mich an die Kabel im Garten“ oder „Hat jemand meine Hose gesehen?“ Diese visuelle Gestaltung, unter der Leitung von Martin Miotk, trägt zur einzigartigen Stimmung bei. Verbunden mit dem eckigen Raum, der an ein Kunstmuseum der 90er Jahre erinnert, wird sofort klar, dass hier etwas Ungewöhnliches bevorsteht.

Die Kunstinstallation trägt den Titel „The Weird and the Eerie“, Leitung durch den Regisseur Michael von zur Mühlen, der bereits mit erfolgreichem Projekt wie „Opera – A Future Game“ für Aufsehen sorgte. Im Mittelpunkt des Abends steht die Interaktion mit einer Künstlichen Intelligenz (KI), die die letzten 20 Jahre des Lebens von Thomas Köck dokumentiert hat. Köck, ein bekannter Dramatiker und Regisseur, greift zum Controller und begibt sich auf eine Reise durch seine Vergangenheit. Mit einer Mischung aus humorvollen und nachdenklichen Momenten versucht der Künstler, eine Verbindung zu seinem digitalen Doppelgänger herzustellen.

Ein Dialog zwischen Mensch und Maschine

Die Vorführung beginnt beschaulich, als Schneeflocken auf der großen Leinwand rieseln, bevor Köck und seine Mitstreiter – Katharina Ernst, Annea Lounatvuori und Andreas Spechtl – den Raum betreten. Köcks Avatar erscheint plötzlich aus einem merkwürdigen Ort, einer Art Holzklo in einer verlassenen Landschaft, und zeigt keinerlei Freude. Der digitale Charakter beschwert sich über das Leben und macht Anstalten, dass der Austausch mit den Teilnehmern schwerfällt. Auf ihrem Oberteil prangt der provokante Satz: „Don’t look back“, was die Ungleichheit zwischen Mensch und Maschine verdeutlicht. Die Interaktion wächst, und die Zuschauer dürfen sogar aktiv in das Spiel eingreifen, was eine lebendige Verbindung zwischen virtueller Realität und der echten Welt schafft.

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Ein zentrales Element des Abends sind die musikalischen Beiträge, die das Geschehen begleiten. Andreas Spechtl, der auch als Musiker aktiv ist, sorgt mit seinem düsteren Indie-Rock-Sound für die passende akustische Untermalung. Mehrere Szenen wechseln sich ab, als die Musiker in die digitale Welt ihres Avatars eintauchen. Insbesondere Spechtls Reise in sein Kindheitsheim durch die digitalen Dachböden und Keller zieht die Zuschauer in ihren Bann. Er trifft dort auf Collagen von Politischen Figuren und kritischen Momenten, die die nostalgischen Erinnerungen verstörend überlagern.

Das Spiel von Erinnerungen und Kritik

Die Performance konzentriert sich stark darauf, wie die KI als Archiv der Vergangenheit fungiert. Jedes Mal, wenn ein Musiker in die digitale Welt eintritt, werden neue Schichten von Erinnerungen und Assoziationen freigesetzt. Das Publikum wird ständig mit Fragen konfrontiert: Was bedeutet es, in einer digitalisierten Welt zu leben, und wie viel von dieser Realität ist tatsächlich von uns selbst geprägt? Eine der eindrücklichsten Szenen geschieht, als eine Anime-Figur in das Spiel eindringt und sich über die Arbeitsplätze beschwert, die durch KI gefährdet sind, und damit eine weitere Dimension des Dialogs eröffnet.

Die eindringlichen Darstellungen und der unkonventionelle Zugang zur Thematik des menschlichen Erinnerns in Kombination mit der Maschinensicht führen dazu, dass der Abend trotz seiner humorvollen Ansätze tiefere Gedanken anstößt. Wie prägt uns die Vergangenheit und wie viel Einfluss hat die Technologie auf unsere Erinnerungen? Es bleibt Raum für Spekulationen: Sind die Kritiken, die während des Abends geäußert werden, tatsächlich von der KI initiiert oder wird das Publikum manipuliert?

Der Abend zieht jedoch nicht nur durch die Interaktivität und die eindrucksvolle Ästhetik in den Bann. Es entsteht eine facettenreiche Diskussion über die Schnittstellen zwischen Mensch, Maschine und dem, was wir als Realität wahrnehmen. Das Erleben von „The Weird and the Eerie“ ist somit nicht nur eine theatrale Aufführung, sondern auch eine Einladung zu einem kritischen Dialog über unsere eigene Wahrnehmung von Vergangenheit und Zukunft.

Am Ende bleibt die Frage, wie tief wir wirklich in die Welt der Künstlichen Intelligenz eintauchen wollen. Ist die KI nur ein Werkzeug für den kreativen Ausdruck, oder stellt sie sogar unsere menschlichen Erfahrungen infrage? Die Antwort bleibt im Raum stehen, so wie der Rollator, auf dem der Zuschauer auf dem Weg durch die eigene Geschichte Platz nehmen kann, während die KI, in ihrer eigenen Laune, bereit ist, weitere Geschichten zu erzählen.

Die Performance kann als Auftakt eines längerfristigen Projekts betrachtet werden, das die Grenzen zwischen analogem und digitalem Erleben auslotet. Der Raum wird in den kommenden Tagen als Installation zugänglich sein, und es wird spannend sein zu sehen, wie das Publikum darauf reagiert.

The Weird & The Eerie

Regie, Gamedesign und Produktion: Michael v. zur Mühlen, Text: Thomas Köck & KI, Visuelles Konzept: Martin Miotk, Komposition: Andreas Spechtl. Live-Musiker:innen und Performer:innen: Katharina Ernst, Annea Lounatvuori, Thomas Köck, Andreas Spechtl. Premiere am 30. August 2024 in Weimar. Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause.

– NAG

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