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Schulleiter in Bayern fordert: Ganztagsschule als Lösung gegen Gewalt

Der Schulleiter Helmut Klemm aus Erlangen (Bayern) kritisiert die Halbtagsschule als die „schlimmste Form der Schule“ und fordert eine grundlegende Reform hin zu Ganztagsschulen, um Konflikte besser zu lösen und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

In den Schulen Deutschlands ist der Rhythmus oft gleich: Von acht bis zwölf Uhr wird gelehrt, und danach gibt es Hausaufgaben. Doch diese Struktur ist nicht optimal, wie Helmut Klemm, der Rektor der Eichendorffschule in Erlangen, betont. Er sagt, dass die Probleme, die aus diesem System resultieren, enorme Konsequenzen für die Schüler haben.

Klemm beschreibt, dass es an Schulen in Deutschland unweigerlich zu Konflikten kommt. Unterstützt durch zwei Jugendsozialarbeiter und eine Sozialpädagogin hat er an seiner Schule den Rahmen geschaffen, der es seinen 400 Mittelschülerinnen und Schülern ermöglicht, Konflikte zu lösen, bevor sie eskalieren. Laut einer repräsentativen Umfrage der Robert Bosch Stiftung geben fast 50 Prozent der Lehrkräfte an, während ihrer Arbeit Gewalterfahrungen zu machen – von Mobbing bis zu körperlichen Auseinandersetzungen. Klemm sieht ein großes Potenzial in der Ganztagsschule, um solche Konflikte zu reduzieren. „An einer Ganztagsschule gibt es mehr Zeit für die Schüler und deren Probleme“, erläutert er.

Die Herausforderungen der Halbtagsschulen

Die Erziehung in vielen Halbtagsschulen verkommt seiner Meinung nach zur reinen Reaktion auf Verhaltensweisen der Schüler. „Wenn ein Kind gegen Regeln verstößt, wird es bestraft. Das ist eine Form der klassischen Konditionierung“, erklärt Klemm. Die Schule wird dadurch stark inhaltlich geprägt, und der menschliche Aspekt der Schüler bleibt oft auf der Strecke. „Schüler werden weniger als Individuen wahrgenommen, sondern eher als Dinge, die man unterrichten muss“, stellt er fest. Bei dieser schnelllebigen Unterrichtsform fehle es an Zeit für Austausch und Mitbestimmung.

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Klemm beschreibt die Atmosphäre an Halbtagsschulen als „Schule in der schlimmsten Form“ und sieht keine Zukunft für dieses Modell. Viele wichtige Erfahrungen, die Schüler während ihrer Schulzeit machen sollten, gehen verloren. Das Gefühl der Zugehörigkeit zur Klasse und die Möglichkeit, gemeinsam Spaß zu haben, drohen in den Hintergrund zu rücken. Diese strukturellen Mängel führen oft zu einer negativen Schülererfahrung.

Bildungsgerechtigkeit durch Ganztagsschulen

Die Eichendorffschule gehört zu den „voll gebundenen Ganztagsschulen“, in der Schüler mindestens drei Tage die Woche für jeweils sieben Stunden am Unterricht teilnehmen müssen. Dies ist eine Form der Ganztagsbildung, die in Bayern nur etwa 1,3 Prozent der öffentlichen Realschulen betrifft. Im Gegensatz dazu sind offene Ganztagsschulen eher eine freiwillige Zusatzoption, die nicht unbedingt zu mehr Bildungsgerechtigkeit führt, meint Klemm. Die Schüler erhalten oft erst ab 13 Uhr eine Betreuung, die nicht immer von qualifizierten Lehrkräften erfolgt.

„Wir brauchen Ganztagsbildung, nicht Ganztagsbetreuung“, fordert Klemm. Für ihn ist die Ganztagsschule ein Ort, an dem nicht nur Unterricht stattfindet, sondern auch soziale Kompetenzen und Zusammenarbeit gestärkt werden. Der Schulleiter sieht die Möglichkeit, den Schulalltag durch Kooperationen mit lokalen Vereinen und Fachleuten zu bereichern und so Fachkräfte an die Schulen zu bringen. „Schule wird nicht nur von Lehrern gemacht“, fügt er hinzu und zielt damit auf den akuten Lehrkräftemangel in Deutschland ab.

Sein Blick auf die Ganztagsschule ist geprägt von einem internationalen Vergleich. In Ländern wie Kanada sind ganztägige Aktivitäten Teil des normalen Bildungssystems und nicht nur eine optionale Erweiterung. Für Klemm ist es entscheidend, dass Schulen grundlegend anders gedacht werden, um nicht lediglich die Struktur der Halbtagsschule zu verlängern.

Ein Wandel ist nötig

Die Ansichten von Helmut Klemm verdeutlichen die Notwendigkeit, den Bildungsansatz in Deutschland zu überdenken. Eine verstärkte Hinwendung zu Ganztagsschulen könnte nicht nur die schulische Erfahrung der Kinder verbessern, sondern auch ein Umfeld schaffen, in dem sie als Individuen wahrgenommen und betreut werden. Der Austausch zwischen Schülern und Lehrkräften sowie die Integration von außerschulischen Aktivitäten könnte die Atmosphäre in den Schulen erheblich verbessern und zu einer gerechteren Bildung beitragen.

In Deutschland gibt es eine zunehmende Debatte über die Rolle von Ganztagsschulen und deren Einfluss auf die Bildungsgerechtigkeit. Viele Bildungsexperten sind sich einig, dass die unterschiedliche Ausgestaltung von Schulmodellen in den Bundesländern zu ungerechten Chancen führt. Ein zentraler Aspekt dieser Diskussion ist die Förderung von sozial benachteiligten Schülern, die oft von den Vorteilen einer Ganztagsausbildung besonders profitieren können.

Bildungsgerechtigkeit und Ganztagsschulen

Die Föderalismusstruktur in Deutschland trägt zur uneinheitlichen Verbreitung von Ganztagsschulen bei. Während in einigen Bundesländern wie Bayern oder Niedersachsen der Anteil an Ganztagsschulen niedrig ist, gibt es in anderen Bundesländern wie Berlin oder Hamburg zahlreiche Schulen mit Ganztagsangeboten. Laut dem Bericht der Kultusministerkonferenz waren im Schuljahr 2020/2021 in Baden-Württemberg 72,3 Prozent der Schulen als Ganztagsschulen eingerichtet, während dieser Anteil in Bayern mit 10,4 Prozent wesentlich geringer ausfiel. Diese Unterschiede zeigen, wie divers das Bildungssystem in den verschiedenen Bundesländern ist.

Eine verstärkte Einführung von Ganztagsschulen wird von vielen als notwendig erachtet, um den gefährdeten Bildungserfolg von Schülern aus Haushalten mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts profitieren vor allem Schüler aus sozialen Brennpunkten von den zusätzlichen Bildungsangeboten, die Ganztagsschulen bieten. Diese Überlegung ist besonders relevant in Bezug auf die Integration und den sozialen Zusammenhalt innerhalb einer Schule.

Institutionelle Herausforderungen

Trotz der zahlreichen Vorteile, die mit Ganztagsschulen in Verbindung gebracht werden, stehen sie vor mehreren Herausforderungen. Eine zentrale Herausforderung ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften und pädagogischem Personal. Die steigenden Anforderungen an Lehrer, die unter den Bedingungen des Fachkräftemangels arbeiten, können dazu führen, dass die Qualität des Unterrichts und der Betreuung leidet. Die Kultusministerkonferenz berichtet, dass in mehr als 8.000 Schulen in Deutschland mehr als 15 Prozent der Lehrkräfte fehlen, was sich negativ auf die Verantwortung und Involvierung der verbleibenden Lehrkräfte auswirkt.

Zudem müssen Ganztagsschulen strukturell und organisatorisch umgestaltet werden, um den Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden. Eine gelungene Ganztagsintegration erfordert nicht nur einen angepassten Lehrplan, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit Vereinen und sozialen Einrichtungen, um ein vielseitiges und wertvolles Angebot zu schaffen.

Demzufolge ist eine umfassende Reform des Bildungssystems notwendig. Ein Ansatz könnte in einer stärkeren Förderung von Partnerschaften zwischen Schulen und lokalen Gemeinschaften liegen, um vielseitige Bildungs- und Freizeitangebote für Schüler zu schaffen und gleichzeitig die sozialen Bindungen innerhalb der Gemeinschaft zu stärken.

– NAG

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