Der Beginn der Schulzeit ist für viele Familien ein bedeutender Schritt, der mit viel Freude, aber auch Herausforderungen verbunden ist. In Schleswig-Holstein stellen Lehrer fest, dass immer mehr Erstklässler Schwierigkeiten haben, sich an Anforderungen und Regeln zu halten, was zu einem spürbaren Verlust an Lernzeit führt. Die Grundschule in Großhansdorf, wo Kirsten Steffen seit über 20 Jahren unterrichtet, ist ein Beispiel für diese wachsenden Schwierigkeiten. Steffen beschreibt, dass Kinder heute oft mit einem unterschiedlichen Set an Voraussetzungen in die Schule kommen als noch vor einigen Jahren. Es scheint, dass die frühen Jahre in Kindertagesstätten nicht ausreichen, um den Kindern die nötigen Kompetenzen zu vermitteln.
Die Herausforderung, die Kinder auf die Schule vorzubereiten, wird laut der Vorsitzenden der Vereinigung der Kitaleitungen in Schleswig-Holstein, Christina Künne, immer größer. Viele Erzieher stoßen in der Kita an ihre Grenzen. Sie berichten, dass das spielerische Lernen bedeutender sozialer Kompetenzen oft nicht mehr ausreichend gefördert werden kann. Klassische Tätigkeiten wie das gemeinsame Decken des Tisches oder einfache Gespräche über den Tagesablauf finden zunehmend seltener in vielen Familien statt. Künne hebt hervor, dass dies für die Schulreife der Kinder von großer Bedeutung ist.
Ungenügende Schulreife trotz Untersuchungen
Eine Umfrage unter 15 Gesundheitsämtern in Schleswig-Holstein verdeutlicht die Probleme. Die Ergebnisse zeigten, dass es immer mehr Kindern an sozialer Reife fehlt. Über die Hälfte der Gesundheitsämter, die für die Schuleingangsuntersuchungen zuständig sind, bestätigten, dass Defizite in den Bereichen Konzentration, Verhalten und Sprache zunehmen. Speziell im Gesundheitsamt des Kreises Plön sind die Untersuchungen mittlerweile zeitaufwändiger, da Kinder oft weniger Kenntnisse mitbringen und Aufgaben klarer erklärt werden müssen.
Zusätzlich machen Ärzte auf die Zunahme von Kurzsichtigkeit aufmerksam. Die Ursachen dafür werden im häufigen Blick auf Bildschirme, als auch in mangelndem Aufenthalt im Freien vermutet. Der Landesvorsitzende der Kinder- und Jugendärzte, Ralf van Heek, warnt davor, dass der frühe Medienkonsum nicht nur das Sehen beeinträchtigt, sondern auch Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Kinder hat. Der Bewegungsmangel ist ebenfalls besorgniserregend – viele Kinder können einfache Dinge wie einen Hampelmann oder sogar einen Rollen vorwärts nicht mehr meistern. Diese Bewegungsmangel führt dazu, dass sie Schwierigkeiten haben, auf ihren Stühlen zu sitzen und sich zu konzentrieren.
Schule als Ort der sozialen Entwicklung
Die aktuellen Herausforderungen in den Grundschulen haben zur Folge, dass Lehrer zunehmend als Vermittler von sozialen Kompetenzen betrachtet werden. Aufgrund sich verändernder Familienstrukturen, unterschiedlicher kultureller Hintergründe und der Migrationswirkungen wird von den Lehrern verlangt, individuelle Bedürfnisse der Schüler stärker zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass weniger Zeit für das eigentliche Lernen bleibt. Kirsten Steffen beklagt den Verlust von Unterrichtszeit, die für Lesen, Schreiben und Rechnen genutzt werden könnte.
Für die betroffenen Schulen stellt dies eine enorme Belastung dar, da der Fokus zunehmend darauf liegt, die allgemeine soziale Unreife der Erstklässler zu adressieren. Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie oft mehr mit dem Verstehen sozialer Interaktionen beschäftigt, als mit dem Lernen von schulischem Wissen. Dies zeigt sich besonders im Zusammenhang mit den Herausforderungen, die durch die Schulreifeuntersuchungen und das Feedback von Erziehern identifiziert werden.
Die Einschulung ist also mehr als nur der Startschuss für den Schulalltag; sie ist auch ein Spiegelbild der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen, die die frühkindliche Bildung betreffen.
– NAG