Lübeck

Lübeck im Aufruhr: Debatte über Thomas Mann und die Fragen der Zeit

Spektakuläre Debatten und kontroverse Diskussionen prägen die Thomas Mann-Tage in Lübeck, wo Wissenschaftler über die Heldenfrage des „Zauberbergs“ streiten, während die politischen Spannungen der Gegenwart und der Bau des Buddenbrookhauses die Kulturstadt necken—ein Überdenken von Aufgeschlossenheit und politischer Verantwortung inmitten von Demonstrationen und Preisträgerfeiern!

Die Thomas Mann-Tage in Lübeck haben in diesem September ein spannendes Forum für Diskussionen über die Rolle von Aufgeschlossenheit und intellektueller Auseinandersetzung geschaffen. Bei der Veranstaltung standen sowohl literarische als auch gesellschaftspolitische Themen im Vordergrund. Während auf dem Marktplatz Demonstranten für die Rechte von Migranten eintraten, wurde andererseits eine härtere politische Haltung gegenüber Migration gefordert. Diese widersprüchlichen Positionen bildeten den Rahmen, in dem die Teilnehmenden die Verflechtungen von Literatur und Gesellschaft beleuchteten.

Die erleuchtende Debatte begann am Samstagmorgen unter dem Motto „Thomas Mann kontrovers“. Die Germanisten Katrin Max und Michael Navratil diskutierten die Frage, ob Hans Castorp, der Held von Manns „Der Zauberberg“, als echter Held betrachtet werden kann. Castorp, ein scheinbar gewöhnlicher Mensch, ist in das Sanatorium in Davos gekommen und wird dort Zeuge intensiver philosophischer Diskurse. Max argumentierte, dass Castorp ein versagender Charakter sei, da er oft passiv bleibt und keine eigene Meinung entwickelt. Navratil hingegen sah ihn in einem anderen Licht: seiner Meinung nach zeige Castorp intellektuelle Neugier, auch wenn er sich nicht sofort für eine klare Meinung entscheidet.

Gesellschaftliche Relevanz des „Zauberbergs“

Ein weiteres Highlight der Thomas Mann-Tage war eine Podiumsdiskussion am darauffolgenden Tag, die den Bogen zur heutigen politischen Situation schlug. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl warf die Frage auf, inwieweit Aufgeschlossenheit heute als naiv oder gar gefährlich wahrgenommen wird. Ihre Warnungen vor aufkommenden extremistischen Strömungen fanden in Teilen des Publikums Zustimmung, während andere die Relevanz ihrer Argumente in einem literarischen Kontext anzweifelten. Die Diskussion zeigte die Herausforderungen auf, vor denen die heutige Gesellschaft steht, wenn es darum geht, produktiv mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen.

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Der Germanist Kai Sina wies darauf hin, dass auch im „Zauberberg“ ein gravierender Unterschied zwischen anregendem Austausch und houptgültigen, willkürlichen Diskussionen besteht. Die Fragestellung nach der politischen Verantwortung intellektueller Aufgeschlossenheit stellte sich besonders drängend: Wo sollten Grenzen gesetzt werden, um sich nicht von extremen Positionen vereinnahmen zu lassen?

Feierlichkeiten und Auszeichnungen

Abgesehen von diesen intensiven Debatten gab es während der Thomas Mann-Tage auch Gelegenheiten zum Feiern. Die Tagung wurde feierlich mit dem Thomas-Mann-Preis eröffnet, der an den Schriftsteller Navid Kermani verliehen wurde. Er ist bekannt dafür, die Weltbürgerschaft, die Thomas Mann so wichtig war, in seinem Werk aufzugreifen. In seiner Dankesrede beschäftigte Kermani sich auch mit den historischen Parallelen zu gegenwärtigen politischen Führern und deren Ideologien.

Zudem feierte die Thomas-Mann-Gesellschaft den dreißigjährigen Geburtstag ihrer „Jungen Forum“-Initiative, was auf deren Stabilität und anhaltendes Interesse an literarischen Themen hinweist. Ein weiterer positiver Aspekt war die erfreuliche Nachricht über finanzielle Mittel für den Ausbau des Buddenbrookhauses, das seit 2020 geschlossen ist. Mit einer geplanten Wiedereröffnung in 2031 gibt es Grund zur Hoffnung, dass Lübeck weiterhin ein Zentrum für Literaturliebhaber bleiben wird.

Nach einem Wochenende voller inspirierender Diskussionen und festlicher Ereignisse blieben die Teilnehmenden mit der zentralen Frage zurück, wie wichtig es ist, eine Stimme zu erheben. Braucht die Welt mehr von Castorps reflektierender Offenheit oder mehr Menschen, die wie Joachim Ziemßen für etwas einstehen? Solche Überlegungen wurden besonders im Kontext aktueller politischer Entwicklungen, wie dem Wahlsieg der FPÖ in Österreich, relevant. Ob aus diesen Momenten Respekt und Verständnis entstehen kann, bleibt abzuwarten, aber die Thomas Mann-Tage in Lübeck haben gewiss einen Anstoß gegeben, weiter nach Antworten zu suchen.


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