In Kiel steht die Auseinandersetzung mit dem Thema Sexarbeit im Fokus, reflektiert durch eine faszinierende Fotografie-Ausstellung des Künstlers Tim Oehler. Bis Samstag sind seine Werke im Pop-up Pavillon zu sehen, welche die lebensnahen Portraits von 30 sexarbeitenden Personen zeigen, unter anderem Dominas und Tantra-Masseure, während sie sowohl bei der Arbeit als auch im privaten Umfeld abgebildet sind.
Die Idee für dieses Projekt entstand 2015 nach einem Museumsbesuch in Paris, wo Oehler von der Präsenz und Wahrnehmung von Prostitution tief beeindruckt war. Auf dem Rückweg kreuzte er einen Straßenstrich und erkannte, wie unterschiedlich das öffentliche Bild einer oft tabuisierten Branche ist. Diese Erfahrung inspirierte ihn, die Realität von Sexarbeitenden in zeitgenössischen Kontexten zu dokumentieren und daraus einen Bildband zu entwickeln. Der Titel des Buches lautet: "Sex Workers - Das ganz normale Leben".
Der Alltag eines Sexworkers
Zu den abgebildeten Personen gehört auch Lydia, eine 43-jährige Sexarbeiterin aus Leipzig, die sich selbst als "Beraterin für Lebensfreude und sexuellen Genuss" bezeichnet. Sie erzählt von ihrem Weg in die Sexarbeit, der vor 20 Jahren aus finanzieller Not begann. Ursprünglich war sie im Büro tätig, entschloss sich aber nach einer Zeitungsannonce, in die Escort-Branche zu wechseln. "Ich wusste nicht sofort, dass der Job auch sexuelle Dienstleistungen umfasst, aber ich war bereit und stieg schnell ein", erklärt sie.
Lydia schildert ihren Arbeitsalltag und erläutert, wie sie ihre Termine organisiert und sich absichert. Bevor sie einen neuen Kunden trifft, führt sie ein telefonisches Vorgespräch, um einen ersten Eindruck zu gewinnen und verifiziert die Identität des Kunden. Sicherheitsvorkehrungen wie Anzahlungen und die Mitteilung ihres Aufenthaltsorts an eine Vertrauensperson sind für sie selbstverständlich. So hat sie sich erfolgreich vor Gewalt und Übergriffen geschützt.
Gesellschaftliche Stigmatisierung
Trotz ihrer Zufriedenheit mit dem Beruf kämpft Lydia gegen die gesellschaftlichen Vorurteile. "Es ist schwierig zu verstehen, warum Menschen in 2024 noch so auf Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter schauen", bemerkt sie enttäuscht. Sie empfindet ihre Arbeit als selbstständig, klagt jedoch darüber, dass das Stigma ihrer Profession oft dazu führt, dass offene Gespräche, auch im Familienkreis, vermieden werden.
Diese Woche in Kiel wird sich nicht nur mit der Ausstellung beschäftigt, sondern auch durch Vorträge und Diskussionsrunden die Perspektive auf Sexarbeit zu erweitern. Fachleute, wie die Historikerin Mona Rudolph, werden sich mit der Geschichte der Sexarbeit auseinandersetzen und sollen dazu beitragen, das Verständnis für die Komplexität dieses Themas zu fördern. Informationen über die gesamte Veranstaltungsreihe sind unter anderem auf www.ndr.de verfügbar.
Lydia selbst wäre erfreut, wenn die Themen Sexarbeit und deren Herausforderungen weniger tabuisiert und mehr diskutiert würden, um Vorurteile abzubauen und Authentizität zu ermöglichen. In einer Welt, die oft schwarz-weiß denkt, ist der Blick auf das alltägliche Leben von Sexarbeitenden ein Schritt in die richtige Richtung.
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