Sprecherin der AGF und Vorstandsmitglied der eaf, Ute Dettweiler, hebt hervor, dass das Konzept der Ganztagsschule nicht nur auf dem Papier gut aussieht. Es soll dafür sorgen, dass Kinder in einem Umfeld lernen, das ihre Bedürfnisse während des gesamten Schultages berücksichtigt. Um Einblicke zu erhalten, hat die Arbeitsgemeinschaft der Familienorganisationen in Rheinland-Pfalz (AGF) eine kreative Methode gewählt: Mal-Interviews. Hierbei wurden 35 Grundschulkindern aus verschiedenen Schulen in Rheinland-Pfalz gebeten, ihre Vorstellungen von einer idealen Ganztagsschule zu zeichnen.
Ab dem Schuljahr 2026/27 wird jedem Erstklässler das Recht auf acht Stunden Ganztagsbetreuung eingeräumt. Damit verbunden sind hohe Erwartungen, die auf einer Ganztagsschule lasten – von der Chancengleichheit bis zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben. Wichtiger als diese Ziele sind jedoch die Bedürfnisse der Kinder selbst, die dringend gehört werden sollten. Besonders wesentliche Aspekte ihrer Wünsche lagen im Bereich der Bewegung und Freizeitgestaltung.
Wünsche der Kinder im Fokus
Die Ergebnisse der Mal-Interviews werden am 4. September auf einem Fachtag in Mainz präsentiert. Dettweiler bemerkt zudem, dass bei den Zeichnungen kein Kind mit Hausaufgaben zu sehen war – ein Hinweis darauf, dass die Kinder sich vor allem eine Umgebung wünschen, in der sie aktiv und kreativ sein können. Es fällt auf, dass Bewegungsangebote und naturnahes Erleben unter den Wünschen eine zentrale Rolle spielen. Die Vorstellung von Chill-Räumen und Orten zum Entspannen zeigt, dass die Kinder Wert auf eine ausgewogene Gestaltung ihrer Zeit in der Schule legen.
„Wir haben in den Bildern viele tolle Ideen gesehen, die die Bedürfnisse der Kinder widerspiegeln und sich gut in die derzeitige Planungsphase für die Ganztagsgrundschule einbauen lassen“, sagt Ute Dettweiler. Diese Ansprüche sind nicht nur ein einfacher Wunsch; sie spiegeln die notwendigen Veränderungen wider, die in den Schulen stattfinden müssen, um gesunde Entwicklung zu fördern.
In der Diskussion über die Ganztagsschule wird oft vergessen, dass dies nicht nur eine Bildungseinrichtung ist, sondern ein Ort, an dem Kinder sich wohlfühlen sollen. Dabei spielt die Qualität des Betreuungspersonals eine ebenso wichtige Rolle wie die Infrastruktur, in der sie lernen. Der Erfolg einer Ganztagsschule hängt stark von gut ausgebildeten Fachkräften ab, die in der Lage sind, die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und darauf einzugehen.
Die Wegweiser für eine gelungene Ganztagsschule sieht Dettweiler in klaren Konzepten, die sowohl die Lernerfahrungen der Kinder als auch ihre Freizeitaktivitäten im Blick haben. Eine große Herausforderung wird es sein, ein Gleichgewicht zu finden zwischen den Anforderungen an die Kinder und deren Recht auf eine unbeschwerte Kindheit. Insbesondere die Idee, dass Ganztagsschulen durch das Angebot an Aktivitäten den Eltern unter die Arme greifen sollen, darf nicht zur Last für die Kinder werden.
Abschließend erkennt Dettweiler, dass sich Eltern oft Sorgen um den schulischen Stress ihrer Kinder machen. „Da ist die Ganztagsschule eine große Chance“, hebt sie hervor, merkt aber gleichzeitig an, dass der Fokus oft falsch gesetzt wird. Statt sich ausschließlich um die Verfügbarkeit von Arbeitskräften zu sorgen, müsse der Alltag von Familien im Mittelpunkt stehen. Ein stressfreies Familienleben, das nicht durch Hausaufgaben und schulische Verpflichtungen gestört wird, ist der Schlüssel zu einem glücklichen und harmonischen Miteinander.
Ein neues Verständnis von Ganztagsschule
In dieser Hinsicht ist die Konzeption der Ganztagsschule mehr als nur eine strukturelle Veränderung im Bildungssystem. Es ist eine Chance, den Fokus wieder auf die Kinder zu legen. Die Mal-Interviews sind ein Schritt in die richtige Richtung, um den Kindern eine Stimme zu geben und ihre Wünsche und Ideen ernst zu nehmen. Indem wir für kindgerechte Räume und Programme kämpfen, gestalten wir nicht nur eine Bildungseinrichtung, sondern auch einen Ort, an dem Kinder zu ihrer vollen Entfaltung kommen können.
Die Rolle der Ganztagsschule in der Gesellschaft
Das Konzept der Ganztagsschule ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Bildungsdiskussion gerückt. Neben der Verbesserung der Bildungsqualität und der sozialen Integration soll die Ganztagsschule auch dazu beitragen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Dies ist insbesondere in einer Gesellschaft, in der immer mehr Elternteile erwerbstätig sind, von großer Bedeutung. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2022 arbeiten über 70 % der Mütter und mehr als 80 % der Väter in Deutschland beruflich. Hier bietet die Ganztagsschule eine strukturierte Betreuung, die Familien entlastet und Eltern die Möglichkeit gibt, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren.
Ein weiterer Aspekt, der oft in der Diskussion über Ganztagsschulen vernachlässigt wird, ist die soziale Gerechtigkeit. Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen haben häufig schlechtere Bildungschancen. Ganztagsschulen können dazu beitragen, diese Ungleichheiten zu verringern, indem sie gezielte Förderangebote machen und Ressourcen bereitstellen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2021 zeigen sich in Ganztagsschulen größere Bildungserfolge bei Kindern aus sozial schwächeren Familien im Vergleich zu ihren Mitschülern in Regelhauptschulen.
Erwartungen und Herausforderungen der Ganztagsschule
Trotz der positiven Aspekte der Ganztagsschulen gibt es auch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Momentan herrscht in vielen Bundesländern ein Personalengpass, der die Umsetzung der Ganztagsangebote gefährden könnte. Der Deutsche Lehrerverband warnt deshalb vor einer Überlastung der bestehenden Fachkräfte und fordert mehr Investitionen in die Ausbildung.
Darüber hinaus ist es notwendig, die Infrastruktur der Schulen weiter zu verbessern. Viele Ganztagsschulen sind derzeit nicht adäquat ausgestattet, um den umfangreichen Anforderungen gerecht zu werden. Nur mit ausreichenden Räumlichkeiten und modernen Materialien kann eine qualitative Betreuung gewährleistet werden. Die AGF hebt in ihren Forderungen hervor, dass das Engagement der kommunalen Träger von essenzieller Bedeutung ist, um die Ganztagsangebote optimal zu gestalten und zu fördern.
Auswirkungen auf das schulische und familiäre Leben
Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026 wird voraussichtlich weitreichende Auswirkungen auf das schulische und familiäre Leben haben. Die Rückmeldungen der Kinder aus den bisherigen Mal-Interviews sind eindeutig: Bewegung, Freiräume und kreative Aktivitäten sind zentral für ihr Wohlbefinden und ihre Entwicklung. Eine Fokusverschiebung muss hin zu einem ganzheitlichen Ansatz erfolgen, der sowohl die schulische als auch die familiäre Integration berücksichtigt.
Die eaf appelliert an die Entscheidungsträger, genau zu evaluieren, wie Ganztagsschulen gestaltet werden sollten, um die Akzeptanz sowohl bei den Kindern als auch den Eltern zu fördern. Dabei ist es entscheidend, dass die schulische Arbeit nicht nur als Mittel zur besseren Verfügbarkeit von Arbeitskräften gesehen wird, sondern auch als integraler Bestandteil der Lebensqualität von Familien.
Die Einführung der Ganztagsschule könnte also nicht nur die Bildungslandschaft revolutionieren, sondern auch das soziale Gefüge und die Lebensqualität von Familien nachhaltig verbessern. Eine sinnvolle Umsetzung mit Fokus auf die Bedürfnisse der Kinder und Familien ist hierbei unerlässlich.
Die Diskussion über die Ganztagsschule zeigt, wie wichtig es ist, verschiedene Perspektiven zu integrieren und sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt stehen. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, um eine erfolgreiche Umsetzung dieser Schulform sicherzustellen.
– NAG