In einem faszinierenden Theaterstück, das am 15. Oktober 2024 Premiere feierte, versucht die Dramatikerin Anna Gschnitzer, das patriarchale System im Gehirn einer Frau zu beleuchten und auf eine metaphorische wie auch humorvolle Weise zu hinterfragen. Die Aufführung mit dem Titel "Die Entführung der Amygdala", präsentiert von Ruth Rosenfeld, zeigt die emotionale Achterbahn einer Frau, die nach einem Unfall Ausdruck ihrer inneren Kämpfe findet.
Die Handlung beginnt mit Ruth Rosenfeld, die sich verletzt am Boden liegend präsentiert. In einer dramatischen Szene umreißt sie ihren Körper auf der Bühne – ein Bild, das an die Umrisszeichnungen von Tatortuntersuchungen erinnert. Der Vorfall selbst hat eine tragische Ursache: Stress und die Sorge um ihr krankes Kind lassen sie auf dem Fahrrad gegen ein Auto prallen. Plötzlich wird die Amygdala, das Angstzentrum im Gehirn, aktiv und fordert sie auf, wieder auf die Beine zu kommen. Diese Figur verwandelt die Situation in ein Spiel zwischen körperlicher Erschöpfung und den Anforderungen, die das Leben als Mutter mit sich bringt.
Ein kreativer Blick auf das Nervensystem
Durch die Darstellung der Amygdala als eine rosa-farbene, kraftvolle Personifikation wird das Nervensystem metaphorisch auf den Kopf gestellt. Rosenfeld wechselt zwischen einem verletzlichen Körper und der selbstbewussten Amygdala, die ihre Fähigkeiten zur Wiederherstellung und Umschreibung der Lebensumstände einsetzt. Laut der Theaterkritik von Barbara Behrendt ist der Wendepunkt der Aufführung erreicht, als die Amygdala alle Körpersysteme runterfährt und so Erleichterung schafft: "Das ist das erste Mal seit Jahren, dass da mal ein bisschen Ruhe einkehrt im Nervensystem."
In dieser Phase der Entspannung entfaltet sich eine Utopie, in der die Protagonistin eine neue Identität annimmt und patriarchale Strukturen hinter sich lässt. Sie erklärt ihren Kindern, dass sie nicht länger als Mutter fungieren möchte, sondern eher als eine Art extraterrestrisches Wesen, das ihnen eine andere Lebensperspektive aufzeigen könnte. Diese Transformation zeigt den Willen zur Veränderung und die Suche nach einer befreiten Beziehung ohne gesellschaftliche Zwänge.
Die Regisseurin Anika Stauch lässt mit minimalen Bühnenbildern Licht und Schatten lebendig werden, was den Monologen von Rosenfeld eine eindringliche Kraft verleiht. Humorvolle, ironische Elemente durchziehen das Stück, doch bleibt das Gesamterlebnis hinter den Erwartungen zurück, da die Themen der patriarchalen Kritik oft klischeehaft behandelt werden. Der Text kritisiert mehr die biologischen Aspekte als die gesellschaftlichen Strukturen, wodurch die Darstellung der Amygdala als zentrale Figur fragwürdig erscheint. Die Frage ist, ob so individuelle Probleme noch ganzheitlich betrachtet werden können, oder ob die Lösung nicht eher in einem gesamtgesellschaftlichen Wandel liegen sollte.
Die Diskussion um das Stück zeigt, dass die Gesellschaft möglicherweise auch von Männern profitiert, wenn die Erfahrungen, die mit der Amygdala nach dem Vaterwerden einhergehen, berücksichtigt werden. Gschnitzer thematisiert die Problematik der Geschlechterrollen und das Erbe des Patriarchats, das in den Köpfen aller Menschen verankert ist. Es bleibt abzuwarten, wie das Publikum auf diese innovative, aber auch umstrittene Perspektive reagiert.
Insgesamt ist "Die Entführung der Amygdala" ein eindrucksvolles Stück, das es schafft, ernste Themen mit Humor und Kreativität zu vermengen. Trotz seiner Schwächen regt es zum Nachdenken an und bietet einen neuen Blick auf die Herausforderungen, die das Leben als Frau im Patriarchat mit sich bringt. Die Theateraufführung verspricht eine aufregende Auseinandersetzung mit menschlichen Emotionen und gesellschaftlichen Normen, die sowohl unterhalten als auch zum Denken anregen kann. Details zu diesem Stück finden sich in dem Bericht von www.rbb24.de.
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