Kleve

Tanz in den Mai: Lebensfreude für Menschen mit Demenz in Kleve

Tanzen gegen Demenz: An einem Nachmittag im Kolpinghaus in Kleve feierten 84 Menschen mit und ohne Demenz den zehnten Tanz in den Mai, wobei Musik und Bewegung nicht nur Lebensfreude weckten, sondern auch das Bewusstsein für die Möglichkeit der non-verbalen Kommunikation förderten und so die Erkrankung für kurze Zeit in den Hintergrund treten ließen.

Im Kolpinghaus in Kleve herrscht heute Nachmittags eine besondere Atmosphäre. 84 Personen mit und ohne Demenz haben sich zum jährlichen Tanz in den Mai versammelt. Viele Teilnehmer nutzen Rollatoren oder Rollstühle und werden von engagierten Ehrenamtlichen und Angehörigen begleitet. Mit Erdbeerkuchen und Kaffee wird für das leibliche Wohl gesorgt. Obwohl einige Anwesende durch einen leeren Blick auffallen und andere erschöpft auf ihren Stühlen sitzen, verändert sich die Stimmung schlagartig, als die Musik einsetzt.

„Auf jeden Fall lebensfroh“, betont Christoph Baumsteiger, ein Facharzt für Neurologie, der die Veranstaltung regelmäßig begleitet. In diesem Jahr feiert das Event sein zehntes Jubiläum. „Menschen, die bei alltäglichen Aufgaben wie Rechnen oder Autofahren Schwierigkeiten haben, blühen beim Tanzen auf. Sie zeigen erstaunliche Tanzschritte und scheinen in ihrem Element zu sein. Das Gedächtnis für Bewegungsabläufe und Musik bleibt bei vielen Betroffenen bemerkenswert intakt“, erläutert Baumsteiger weiter.

Tanzen: Mehr als nur Bewegung

Die Tanzfläche füllt sich schnell, und fast alle Anwesenden singen oder klatschen mit. Es wird Disco Fox getanzt, oder die Teilnehmer halten sich einfach an den Händen. Auch Rollstuhlfahrer sind mittendrin, werden sanft durch die Menge geschoben und drehen sich im Kreis. Kirsten Lommen, eine Sozialpädagogin, die die Veranstaltung organisiert, sieht die positiven Effekte des Tanzens: „Ich habe eben zwei Herren gesehen, die über 90 sind. Die Freude, die sie beim Tanzen hatten, war unbeschreiblich.“ Sie hebt hervor, dass das gemeinsame Tanzen die Menschen auf Augenhöhe bringe und die Herausforderungen des Alltags in den Hintergrund treten lassen könne.

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Die Atmosphäre ist geprägt von Musik aus den 50er bis 70er Jahren, die Erinnerungen weckt und alle Anwesenden in ihre Jugendzeit zurückholt. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Tanzen besonders positive Auswirkungen auf Gedächtnisstörungen hat“, führt Baumsteiger an und bezieht sich auf eine Studie der Stanford University.

Nonverbale Kommunikation durch Tanz

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Tanzens ist die Kommunikation, die oft über Worte hinausgeht. Stefan Kleinstück, ein Hobbytänzer und Gründer der Initiative „Wir tanzen wieder – Tanzen für Menschen mit und ohne Demenz“, beschreibt den Einfluss der Musik auf die Teilnehmer: „Die Musik bringt die Menschen in Schwingung und lässt sie in ihre Erinnerungswelt eintauchen. Beim Paartanz geschieht eine nonverbale Kommunikation, die sehr intensiv ist.“

Kleinstück teilt seine Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Tanz und erklärt, dass für das Tanzen nicht viel nötig ist – nur ein einfacher Raum, Musik und jemand, der die Menschen zum Tanzen einlädt. Zu häufig scheitern solche Veranstaltungen jedoch am Mangel an freiwilligen Helfern. „Es geht darum, den Menschen eine positive Erfahrung zu ermöglichen, ohne dass es großen Aufwand erfordert“, sagt er.

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Ähnlich ist es im Programm „Resonare“ der Komischen Oper in Berlin, wo wöchentliche Boogie Woogie-Tanzgruppen für Demenzbetroffene und deren Angehörige angeboten werden. Projektkoordinatorin Anouk Kopps beobachtet, wie die Teilnehmer im Laufe der Stunden wacher werden und Erinnerungen zurückkehren. „Es ist erstaunlich, wie lebendig ihre Augen werden, wenn sie sich zur Musik bewegen“, resümiert sie die Beobachtungen der letzten Jahre.

Christine und ihre Mutter, die an Demenz erkrankt ist, gehören ebenfalls zu den Teilnehmern der Resonare-Gruppe. Christine beschreibt das Erlebnis als wunderbar undUnterstützung, die ihnen das Tanzen bringt. „Die gesamte Atmosphäre ist so positiv. Wenn man in die strahlenden Augen der anderen schaut, vergisst man all die Sorgen,“ erzählt sie lächelnd.

Die gemeinsame Stunde, begleitet am Klavier, bietet eine Auswahl an Kinderliedern, Oldies und Schlagern, bei denen auch Bewegungen ausgeführt werden. Die Teilnehmer von Resonare sind oft sehr engagiert und zeigen ihre Freude, indem sie beispielsweise leidenschaftlich mit dem Dirigieren beginnen. „Wenn die Musik erklingt, ist es wie Magie. Er zeigt dann wieder seine lebhafte Seite,“ sagt seine Frau.

Bewegung und Musik als Heilmittel

Ungeachtet der Herausforderungen, die Demenz mit sich bringt, zeigen solche Veranstaltungen, dass Möglichkeit und Freude eng miteinander verbunden sind. Die Förderung von Programmen wie Resonare durch Institutionen wie die Manfred Strohscheer Stiftung und die wissenschaftliche Begleitung durch die Charité in Berlin stellen sicher, dass die positiven Effekte von Musik und Bewegung in diesem Bereich weiterhin erforscht und optimiert werden. Die Teilnehmer nehmen eine Portion Lebensfreude mit nach Hause und erleben dabei unvergessliche Momente der Gemeinschaft, die ihre Realität für einen Nachmittag hell und lebendig macht.

Die Bedeutung von Musiktherapie

Musiktherapie hat sich als eine wirksame Methode im Umgang mit Demenzpatienten etabliert. Psychologische Studien belegen, dass Musik und rhythmische Bewegungen neurologische Reaktionen hervorrufen, die bei anderen Therapien möglicherweise nicht erreicht werden. Laut der Alzheimer’s Association können Musiktherapien dazu beitragen, das emotionale Wohlbefinden von Demenzkranken zu steigern und ihnen ein Gefühl der Identität zu vermitteln. Einige Studien zeigen, dass Musik Erinnerungen und Emotionen hervorrufen kann, selbst wenn der patientenvermittelte Zugang zu Sprache stark eingeschränkt ist. Diese Form der Therapie integriert häufig Elemente des Tanzes, um die Bewegungsfreude zu fördern und die soziale Interaktion zu stärken. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite der Alzheimer’s Association.

Musiktherapie führt dazu, dass Teilnehmende sich in einer vertrauten Umgebung wohlfühlen, was den Stress reduziert und die Lebensqualität erhöht. Eine Umfrage unter Betroffenen und ihren Familien hat ergeben, dass 85% von ihnen signifikante Verbesserungen im sozialen Miteinander und in der emotionalen Gesundheit erfahren haben, sobald Musik in ihren Alltag integriert wurde.

Soziale Auswirkungen von Demenz

Die Auswirkungen von Demenz gehen über die Erkrankten selbst hinaus und betreffen auch deren Familien und das soziale Umfeld. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenz, und diese Zahl wird voraussichtlich bis 2050 auf über 3 Millionen ansteigen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Gesundheitswesen und die soziale Unterstützung, da sich die Notwendigkeit für spezialisierte Pflege und innovative Betreuungsformen erhöht. Die Herausforderungen, vor denen Angehörige stehen, sind ebenfalls erheblich. Das Statistische Bundesamt stellt fest, dass rund 70% der Pflegekräfte in familiären Umgebungen leben, was zu Stress und Belastung führen kann.

In vielen Fällen sind es diese sozialen Berührungen, wie bei den Tanzveranstaltungen in Kleve oder dem Resonare-Projekt, die sowohl Erkrankten als auch Angehörigen ein Gefühl der Gemeinschaft und des Verständnisses bieten. Veranstaltungen wie diese helfen, die Isolation zu verringern und das emotionale Wohlbefinden aller Beteiligten zu fördern.

– NAG

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