Brüssel – Die Diskussion um das Geschlechterverhältnis innerhalb des neuen Führungsteams der EU-Kommission spitzt sich zu. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht sich mit erheblichem Widerstand von Seiten der Mitgliedstaaten konfrontiert. In den letzten Tagen haben Recherchen der Deutschen Presse-Agentur aufgezeigt, dass mehr als die Hälfte der EU-Regierungen lediglich männliche Kandidaten für die zukünftigen Kommissare vorgeschlagen hat. Dies könnte dazu führen, dass das neue Kollegium zu etwa zwei Dritteln aus Männern besteht, obwohl der derzeitige Stand immerhin 12 von 27 Kommissionsmitgliedern als weiblich ausweist.
Ursula von der Leyen, die im Juli wiedergewählt wurde, hat die Staats- und Regierungschefs der EU darum gebeten, eine ausgewogene Geschlechterverteilung zu gewährleisten, indem sowohl Männer als auch Frauen nominiert werden. Diese Bitte wurde jedoch nur von wenigen Länder ernst genommen. Länder wie Frankreich, Ungarn und Lettland haben bestehende männliche Kommissare erneut nominiert, ohne eine weibliche Ergänzung vorzunehmen. So wird Frankreich voraussichtlich den derzeitigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton ins Rennen schicken, während Ungarn Oliver Varhelyi und Lettland Valdis Dombrovskis nominieren.
Rechtliche Aspekte und politische Dynamik
Ein zentrales Problem ist die fehlende rechtliche Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, der Aufforderung von von der Leyen nachzukommen. Im EU-Vertrag wird zwar gefordert, dass das demografische und geografische Spektrum der Mitgliedstaaten abgebildet wird, jedoch findet sich kein Hinweis auf eine Geschlechterparität. Dies bedeutet, dass von der Leyen letztlich wenig Druck auf die Regierungen ausüben kann, ihre Nominierungen zu ändern, was ihre Position erheblich schwächt.
Die bevorstehende Neubesetzung der EU-Kommission stellt einen entscheidenden Moment für die politische Landschaft der Union dar. Von der Leyen ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten ihre Entscheidungen schnell überarbeiten, um das angestrebte Gleichgewicht zu erreichen. Während die aktuellen Nominierungen noch offen sind, könnte sie theoretisch versuchen, Druck auszuüben, indem sie den Ländern gegebenenfalls vorteilhaftere Ressorts für ihre weiblichen Kandidatinnen anbietet. So berichtete die «Times of Malta», dass von der Leyen Malta empfohlen habe, die amtierende maltesische Kommissarin Helena Dalli erneut zu nominieren, um im Gegenzug ein attraktiveres Ressort zu erhalten.
Reputationsrisiko für die EU
Die Situation könnte nicht nur für von der Leyen persönlich unangenehm werden. Der EU-Rechtsexperte Alberto Alemanno betont, dass ein von Männern dominiertes Kollegium möglicherweise den Einfluss und die Autorität der Präsidentin der EU-Kommission untergraben würde. Er rät von der Leyen dazu, ihre Unzufriedenheit gegenüber den nationalen Hauptstädten deutlich zu machen und sie aufzufordern, ihre Nominierungen zu überdenken.
Zusätzlich warnt er, dass schwache männliche Kandidaten möglicherweise im Europäischen Parlament auf Widerstand stoßen könnten. Sollten diese nicht die notwendige Zustimmung erhalten, sind die Regierungen gezwungen, neue Kandidaten vorzuschlagen, was den Amtsantritt der neuen Kommission verzögern könnte. Angesichts der geopolitischen Relevanz zum Zeitpunkt der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den USA könnte dies schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.
Die EU-Kommission, die rund 32.000 Mitarbeiter unterstellt sind, spielt eine zentrale Rolle bei der Gesetzgebung und der Überwachung der europäischen Verträge. Es bleibt abzuwarten, ob Ursula von der Leyen die nötigen Schritte einleiten kann, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Kommission sicherzustellen und gleichzeitig den rechtlichen Rahmen dieser Herausforderung zu respektieren.
– NAG