Schwelm. Im Ennepe-Ruhr-Kreis wird an einem bedeutenden Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen am Lebensende gearbeitet. Die lokale Umsetzung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen soll dafür sorgen, dass Betroffene ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben erleben können.
„Es ist wichtig, diesen Dialog zu fördern“, betont Silvia Kaniut, die Koordinatorin der Regionalgruppe Hattingen des Ambulanten Hospizdienstes Witten-Hattingen. Diese Charta ist ein Dokument, das Menschen in schwerwiegenden gesundheitlichen Situationen eine gerechte Versorgung und Begleitung verspricht. Dass auch Landrat Olaf Schade in Schwelm seine Unterschrift darunter gesetzt hat, zeigt die Unterstützung dieser Initiative. Ziel der Charta ist es, jedem Menschen, unabhängig von ihrer Erkrankung oder Lebenssituation, Zugang zu individuell angepasster Pflege zu bieten.
Zusammenarbeit und Notfallversorgung
„Für den Ennepe-Ruhr-Kreis bedeutet das, dass wir eng mit Städten, Verbänden und Trägereinrichtungen zusammenarbeiten müssen“, erklärt Schade. Um bestimmte Bedürfnisse von Palliativpatienten bei Notfällen zu berücksichtigen, wurde ein Palliativ-Notfallwegweiser entwickelt. Dieser Wegweiser ist klein und handlich, sodass jeder, der sich in einer ähnlichen Situation befindet, ihn jederzeit dabei haben kann.
„Durch diese Maßnahme haben wir im Rettungsdienst die Möglichkeit, schnell und rechtssicher zu handeln“, erläutert Kai Pohl, der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Kreis. Dieser Wegweiser ermöglicht es nicht nur, den Willen des Patienten zu erfassen, sondern ist auch entscheidend für die Entscheidungsfindung in kritischen Momenten. Damit können Rettungsteams sofort erkennen, ob Maßnahmen wie künstliche Beatmung oder Wiederbelebung gewünscht sind.
Astrid Hinterthür, Fachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziales im Ennepe-Ruhr-Kreis, unterstützt die Idee eines einheitlichen Notfallausweises für die gesamte Region. „Diese Art der einheitlichen Handhabung verhindert Unsicherheiten und stellt sicher, dass alle Beteiligten im Sinne des Patienten handeln“, fügt sie hinzu.
Die Charta wird von wichtigen Institutionen der Palliativmedizin unterstützt, darunter die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. Zudem erhält das Projekt bedeutende Fördergelder von der Robert-Bosch-Stiftung und der Deutschen Krebshilfe, was die Wichtigkeit der Initiative unterstreicht.
Optimierungsbedarf bleibt
Obwohl in den letzten Jahren durch die Hospizbewegung und Palliativmedizin bereits viel erreicht wurde, sieht Kaniut weiterhin Verbesserungsbedarf in der Versorgung vor Ort. Die Ausbildung und Sensibilisierung von Fachpersonal sowie die Informationsweitergabe an Angehörige sind essentielle Punkte. „Es ist nicht nur wichtig, die Patienten zu begleiten, sondern auch deren Familien zu unterstützen“, sagt Kaniut.
Mit dem Fokus auf die individuelle Geschichte jedes Patienten und seiner Familie wird klar, dass eine personalisierte Pflege und Begleitung in diesen schweren Zeiten unverzichtbar sind. „Wir wollen, dass jeder Mensch die Unterstützung erhält, die er oder sie braucht“, verdeutlicht Schade.
Die beständige Diskussion über die Herausforderungen am Lebensende ist von großer Bedeutung, da sie Tabuthemen anspricht und den Raum eröffnet, über Wünsche, Ängste und persönliche Vorstellungen des Sterbens zu sprechen. Das Ziel ist klar: allen Menschen ein selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen, bei dem sie in Würde begleitet werden.
Einblicke in die Charta
Die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen hat eine wichtige Aufgabe. Sie stellt sicher, dass Betroffene und deren Familien in schwierigen Zeiten die Unterstützung erhalten, die sie verdienen. Indem sie die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, zielt sie darauf ab, ein System zu fördern, das Respekt und Würde in den Vordergrund stellt. In einer Zeit, in der das Thema Sterben oft verdrängt wird, ist die Bereitstellung solcher Initiativen und Hilfsmittel von unschätzbarem Wert.
Rolle der Palliativmedizin und Hospizbewegung
Die Palliativmedizin hat in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch die wachsende Anerkennung der Bedürfnisse von Menschen, die an unheilbaren Krankheitsbildern leiden. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf der Linderung von Schmerzen, sondern auch auf der Verbesserung der Lebensqualität und der psychischen Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin wird in Deutschland mittlerweile ein zunehmend holistischer Ansatz verfolgt, der sowohl physische als auch emotionale und soziale Faktoren berücksichtigt.
Die Hospizbewegung, die ihre Ursprünge in den 1960er Jahren hat, hat maßgeblich zur Etablierung von Standards in der palliativen Versorgung beigetragen. Einrichtungen wie Hospize bieten nicht nur medizinische Unterstützung, sondern auch Raum für Familienangehörige, um in einem würde- und respektvollen Umfeld Abschied zu nehmen. Die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen ist ein weiterer Schritt, um diese Standards zu verankern und die Qualität der medizinischen und sozialen Betreuung zu sichern.
Aktuelle Herausforderungen in der Palliativversorgung
Trotz der Fortschritte gibt es in der Palliativversorgung in Deutschland weiterhin signifikante Herausforderungen. Eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass nicht alle Regionen gleich gut mit Palliativdiensten versorgt sind. Insbesondere ländliche Gebiete kämpfen oft mit einem Mangel an spezialisierter medizinischer Unterstützung und hospizlicher Begleitung.
Ein weiterer Aspekt ist die Diskrepanz in der Wahrnehmung und dem Zugang zu palliativen Diensten. Viele Patienten und deren Angehörige sind sich nicht bewusst, welche Angebote zur Verfügung stehen. Dies betrifft insbesondere die älteren Generationen, die möglicherweise nicht die nötigen Informationen erhalten, um fundierte Entscheidungen über ihre Versorgung zu treffen. Hier ist Aufklärungsarbeit gefragt, um rechtzeitige und adäquate Unterstützung zu gewährleisten.
Daten zur Palliativversorgung in Deutschland
Aktuelle Statistiken der Bundesärztekammer zeigen, dass die Anzahl der Palliativstationen in Deutschland stetig steigt. Im Jahr 2022 waren mehr als 250 Palliativstationen in Krankenhäusern eingerichtet, was einem Anstieg von über 30% in den letzten fünf Jahren entspricht. Zusätzlich existieren mittlerweile über 300 ambulante Hospizdienste, die schwerstkranken Menschen und ihren Familien eine umfassende Versorgung anbieten.
Die Nutzung der hospizlichen Begleitung ist jedoch deutschlandweit noch nicht in vollem Umfang verbreitet. Laut einer Studie der Deutschen Krebshilfe haben nur etwa 15% der Betroffenen, die eine palliative Versorgung benötigen, auch tatsächlich Zugang dazu. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, das Bewusstsein über Palliativversorgung zu schärfen und sicherzustellen, dass alle Betroffenen unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer persönlichen Situation die benötigte Unterstützung erhalten.
– NAG