Eine umfassende Studie deckt schwerwiegende Missbrauchszahlen im Bistum Osnabrück auf, mit deutlichen Hinweisen auf ein systematisches Versagen bei der Aufarbeitung solcher Fälle. Der neue Bischof Dominicus Meier bewertet die Ergebnisse als klaren Auftrag zum Handeln.
Die Universität Osnabrück hat nach dreijähriger Recherche eine blitzlichtartige Untersuchung zu sexualisierter Gewalt im Bistum vorgelegt. Von 1945 bis heute wurden 122 Kleriker, darunter Priester und Diakone, identifiziert, die vorgeworfen wird, an 349 Betroffenen Gewalt ausgeübt zu haben. Darüber hinaus gibt es erwiesene Hinweise auf mindestens 60 weitere Betroffene, was die Anzahl der bestätigten Opfern auf über 400 anhebt.
Die Dunkelziffer und das Einsehen von Problemen
Ein weiteres zentrales Element der Studie ist das hohe Dunkelfeld sexualisierter Gewalt, welches die Forscher vermuten. Die Palette der vorgeworfenen Taten reicht von weniger gravierenden Übergriffen bis hin zu schweren Sexualstraftaten. Interessanterweise liegt der Anteil der beschuldigten Kleriker bei etwa vier Prozent, ein Wert, der in anderen Bistümern ähnlich zu sein scheint, wie der Rechtswissenschaftler Hans Schulte-Nölke bemerkt.
Die Studie war besonders durch die Mitwirkung von drei Betroffenen geprägt, die als externe Berater fungierten. Historikerin Siegrid Westphal hebt hervor, dass deren Stimmen es ermöglichten, die sprachlichen Muster zu erkunden, die um möglichen Missbrauch kreisten. Projektkoordinator Jürgen Schmiesing berichtet von diversen Gesprächen mit 23 Betroffenen sowie 45 Personen aus deren Umfeld und Experten, aus denen unbewusste und absichtliche Sprachmuster zu Tage traten. Diese reichten von einer Pathologisierung der Opfer bis hin zu fälschlicher Mitschuld der Betroffenen oder der bagatellisierten Rede von „Liebesbeziehungen“ zwischen jüngeren Opfern und älteren Klerikern. Solche Narrative haben laut den Forschern eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass Täter unbehelligt geblieben sind.
Der Umgang mit den Erkenntnissen
Bemerkenswert ist die klare Position der Universität zu ihrem Forschungsauftrag. Obwohl das Bistum die Studie in Auftrag gegeben und finanziert hat, betont Universitätspräsidentin Susanne Menzel-Riedl, dass keinerlei Einflussnahme durch das Bistum stattgefunden habe. Dies wurde auch von Betroffenen und Zeugen bestätigt, die den Forschern einen Blick auf die Thematik ermöglichten, der über die meist beschönigten kirchlichen Dokumente hinausgeht.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Studie ist die klar formulierte Kritik an den Bistumsleitungen. Diese hätten wiederholt ihre Pflichten zur Aufklärung gravierend vernachlässigt. Diese Tendenz führten die Wissenschaftler bereits in einem Zwischenbericht aus dem September 2022 an, was für den vorzeitigen Rücktritt des ehemaligen Bischofs Franz-Josef Bode im März 2023 maßgeblich war.
In Reaktion auf die Ergebnisse erklärte der neu eingesetzte Bischof Dominicus Meier, dass die Studie einen Arbeitsauftrag für ihn darstellt. Er glaubt, dass die gesammelten Erkenntnisse dazu beitragen werden, den Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt im Bistum Osnabrück weiter zu verbessern. Die Bistumsleitung wird nächste Woche eine ausführliche Stellungnahme abgeben, nachdem sie die Studie eingehend geprüft hat.
Die vollständigen Details der Forschung und die Ergebnisse sind auch auf der Website der Universität Osnabrück einsehbar.