Lüneburg

Gefährliche Freiheit: Einblicke in den forensischen Maßregelvollzug

von Carlo Eggeling am 06.09.2024

Ein faszinierender Widerspruch zeigt sich in der Psychiatrischen Klinik, die sowohl Sicherheit als auch Freiräume für ihre Patienten bietet. Auf den ersten Blick mag der mit Nato-Draht gesicherte Zaun für Verwirrung sorgen. Doch wenn zwei Patienten an der Tür klingeln und nach kurzer Überprüfung in den Park der Klinik spazieren, stellt sich die Frage: Wie kann jemand, der als gefährlich eingestuft wird, so viel Freiheit genießen?

Die Antwort darauf bietet Dr. Ulla Lübcke-Werner, die 63-jährige Leiterin des forensischen Bereichs der Klinik. Sie betont, dass Sicherheit nicht allein durch physische Barrieren gewährleistet wird, sondern vor allem durch Beziehungen, die zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Patienten aufgebaut werden. „Die meiste Sicherheit entsteht über Beziehung, nicht über Stacheldraht“, erklärt sie. Hier kommt das therapeutische Konzept ins Spiel, das sowohl Einzel- als auch Gruppengespräche umfasst und auf eine wahrhaftige Verbindung zielt.

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Maßregelvollzug: Zwischen Krankheit und Verantwortung

Der Begriff „Maßregelvollzug“ wirft Fragen auf. Was heißt das für die betroffenen Menschen? Der Maßregelvollzug sieht vor, dass Menschen, die aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden können, nicht ins Gefängnis, sondern in eine psychiatrische Einrichtung kommen. Diese Regelung basiert auf den Paragrafen, die Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit anerkennen. Beispielsweise können an Schizophrenie leidende Personen während einer Psychose nicht kontrollieren, was sie tun.

Getreu dieser Logik werden Patienten zwar als schuldunfähig angesehen, dennoch kann von ihnen eine Wiederholungsgefahr ausgehen. Ein Gericht hat dann die Möglichkeit, sie in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen. Anders als im Strafrecht gibt es hierbei kein festgelegtes Strafmaß, weshalb unklar bleibt, wann jemand wieder entlassen wird.

Der Fokus der Klinik liegt stets auf Behandlung und Therapie. Das Ziel ist es, die Patienten so weit zu stabilisieren, dass sie ein Leben ohne Mauern führen können. Mit zunehmendem Therapieerfolg gewinnen die Patienten mehr Freiheiten: Begleitete Ausgänge, Besuchsrechte in der Stadt oder sogar die Möglichkeit, außerhalb zu wohnen. Doch die Freiheit ist an strenge Auflagen gebunden, und für eine Entlassung muss die Einwilligung der Strafvollstreckungskammer eingeholt werden.

Die Rolle des Staates und der Gesellschaft

Eine Grundsatzfrage bleibt jedoch: Wie viel Risiko ist die Gesellschaft bereit einzugehen, wenn es um die Freiheit von Patienten geht? Vor mehreren Jahrzehnten waren die Therapieansätze weitaus liberaler, und doch zeigen aktuelle Statistiken, dass Patienten häufiger länger untergebracht bleiben als früher. Dies geschieht trotz der Tatsache, dass viele von ihnen nicht schuldig gesprochen worden sind.

Zusätzlich kündigten Dr. Schmitz und Dr. Lübcke-Werner an, den Zaun der Klinik zu modernisieren. Der Sicherheitsbereich bleibt zwar erhalten, doch künftige Veränderungen sollen einladender wirken und den negativen Eindruck von Bedrohung überwindbar machen. Immerhin wird die Sporthalle der Klinik den Vereinen der Umgebung zur Verfügung gestellt, was einen weiteren Schritt in Richtung Integration darstellt.

Beide Ärzt(innen) wünschen sich eine präventive Herangehensweise an psychische Erkrankungen. Die Idee ist, Anzeichen frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation sind jährlich etwa 28 Prozent der Erwachsenen in Deutschland von psychischen Erkrankungen betroffen. Psychische Erkrankungen bringen nicht nur individuelle Herausforderungen mit sich, sondern betreffen auch die Gesellschaft als Ganzes. Eine gezielte Prävention könnte helfen, diese Probleme frühzeitig anzugehen und das Risiko von schweren Erkrankungen zu reduzieren.

„Eine psychische Erkrankung sucht sich niemand aus“, verdeutlicht Dr. Schmitz, und fügt hinzu, dass die beste Vorbeugung eine geeignete Behandlung ist. Dennoch muss betont werden, dass einige Menschen als gefährlich eingestuft und dauerhaft untergebracht bleiben müssen. In Lüneburg finden diese besonders schweren Fälle jedoch keine Berücksichtigung.

– NAG

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